Ensemble, Philipp Büttner, David_Arnsperger / Foto: © www.AndreasLander.de

Catch Me If You Can: Domplatz OpenAir 2023 in Magdeburg begeistert mit spektakulärer Gaunerkomödie – Ein Bericht von der Premiere am 16. Juni 2023

Es ist eines der (wenn nicht sogar: das) Highlight einer jeden Spielzeit des Theaters Magdeburg: das Domplatz OpenAir. Abgesehen von einer zweijährigen, Corona-bedingten Unterbrechung wird seit Jahren zum Ende der Spielzeit, kurz vor den Sommerferien, gegenüber vom Dom ein Musical auf die Bühne gebracht. In schöner Regelmäßigkeit wird dabei auch immer noch eine Schippe draufgelegt, was spektakuläre Showeffekte wie etwa das Spiel mit Pyrotechnik anbelangt. Am Abend des 16. Juni 2023 fand auf dem Domplatz die Premiere des diesjährigen OpenAirs in Form des Stücks „Catch Me If You Can“ statt. Es war dies die erste Domplatz-Premiere unter der neuen Intendanz von Julien Chavaz, nachdem im vergangenen Jahr mit der fulminanten Inszenierung von „Rebecca“ die bisherige Intendantin Karen Stone in den Ruhestand verabschiedet wurde. Regisseur Felix Seiler sowie der musikalische Leiter Kai Tietje (beide erstmals für das Theater Magdeburg tätig) hatten also die spannende Aufgabe, diesem neuen Anfang einen Zauber einzuverleiben. Anstatt nun aber der in puncto Schauwerte vermutlich nur noch schwer zu überbietenden „Rebecca“-Inszenierung noch eins draufsetzen zu wollen, trat man stattdessen eher auf die Bremse. Warum das eine sehr gute Entscheidung war, das will ich nachfolgend gerne versuchen zu erläutern.

Beim Titel „Catch Me If You Can“ dürfte die häufigste Assoziation, die dazu aufkommt, wohl der von Steven Spielberg inszenierte Film aus dem Jahr 2002 sein, in welchem sich Leonardo DiCaprio als gewitzter und charmanter Hochstapler Frank William Abagnale und Tom Hanks als schon fast obsessiver FBI-Agent Carl Hanratty ein vergnügliches Katz-und-Maus-Spiel liefern. Und genau das ist auch der Inhalt des Musicals aus dem Jahr 2009. Das Buch zum Stück stammt von Terrence McNally, der als einer der bedeutendsten Dramatiker der USA gilt (u. a. „Kuss der Spinnenfrau“) und zu Lebzeiten mit zahlreichen Theaterpreisen (wie etwa vier Tony Awards sowie einen für das Lebenswerk) ausgezeichnet wurde. Basierend auf seinem Textbuch machten sich der Oscar-nominierte Liedtexter Scott Wittman („Mary Poppins’ Rückkehr“) und der Komponist Marc Shaiman (u. a. „Harry und Sally“ oder „Sister Act“) an die Arbeit und entwickelten aus den wahren Begebenheiten rund um die Person Frank Abagnales, dessen Biografie sowie natürlich auch dem Film ein temporeiches Stück voller Witz und ganz viel Sixties-/Seventies-Charme, welches das Potenzial bietet, für viel Kurzweil und Vergnügen zu sorgen. Ich erlaube mir an dieser Stelle den Spoiler und sage: exakt das ist den Beteiligten des Theaters Magdeburg mit ihrer Inszenierung gelungen.

Ensemble, Philipp Büttner / 📸: © www.AndreasLander.de

Um Euch kurz ins Boot zu holen, nachfolgend ein kurzer Abriss zu der in den 1960er-Jahren in den USA angesiedelten Handlung: Als Sohn eines GIs und einer Französin wächst Frank William Abagnale wohlbehütet auf und lernt schnell ein paar ganz elementare Dinge in seinem Leben. Einerseits den Umstand, dass Kleider Leute machen. Man braucht nur das richtige Outfit und ein selbstbewusstes Auftreten und schon öffnen sich diverse Türen und/oder Möglichkeiten. Und andererseits, dass er über ein Talent verfügt, entsprechend bestimmt und überzeugend auftreten und Menschen mit überzeugenden Lügen um den Finger wickeln zu können. Was mit gefälschten Schecks beginnt, entwickelt sich im Laufe seines Lebens zu einer Karriere als Hochstapler, die ihn Pilot, Anwalt und Oberarzt werden lässt. Im Zuge dessen gelingt es ihm, einige Milliönchen US-Dollar zu ergaunern. Ihm dicht auf den Fersen ist der FBI-Agent Carl Hanratty, zu dem sich irgendwann eine ganz merkwürdige Form von Hassliebe oder gar Freundschaft entwickelt. Zum Teil erinnert mich die Beziehung der beiden Männer an die zwischen Batman und dem Joker, die jeweils auch irgendwie nicht so richtig ohne den anderen existieren können. Die Assoziationen an Comics und speziell auch den Clownprinzen des Verbrechens kommen nicht von ungefähr, aber darauf komme ich später noch zu sprechen. Die Liebe zur Krankenschwester Brenda Strong ist es, die Abagnale letztlich zu Fall bringt und somit direkt in die Arme seines Häschers führt.

Viel mehr möchte ich über die unterhaltsame und rasant erzählte Story an dieser Stelle auch gar nicht erzählen. Letztlich ist der Rahmen durch die Gegebenheiten abgesteckt, die Frage ist eher: Was machten Regisseur Felix Seiler und sein Team aus dem Stoff?

Eine rasante, witzige Gaunerkomödie, beinahe wie ein Comicheft

Ausgehend von dem Buch Terrence McNallys, der die Handlung sehr komprimierte (der in Frankreich spielende Teil fehlt zum Beispiel gänzlich), wird Abagnales Geschichte wie eine Art Fernsehshow erzählt. Das heißt, Frank Abagnale präsentiert sich dem Publikum so, wie er sich selbst sieht – und wie er gerne gehabt hätte, dass sein Leben verlaufen ist. Wie man heute weiß, gibt es durchaus Differenzen zwischen Wunsch und Wirklichkeit. Das ermöglicht es aber, Frank Abagnale mehr als fiktiven denn als realen Charakter zu zeichnen, was aus Gründen des Unterhaltungswerts sicher nicht das Schlechteste ist.

Gespielt wird Frank Abagnale in der Magdeburger Inszenierung von Philipp Büttner, der unter anderem von 2017 bis 2020 als Erstbesetzung Aladdin im gleichnamigen Musical in Hamburg und Stuttgart spielte und auch schon über Domplatzerfahrungen verfügt. Für die Inszenierung von „West Side Story“ (2017) schlüpfte er für einige Vorstellungen in die Rolle des Tony. Für die Rolle des gewieften und scheinbar mit allen Wassern gewaschenen Frank Abagnale hätte man sich wohl kaum eine bessere Besetzung wünschen können. Auch auf 30 Metern Entfernung zu Bühne lässt sich der Schalk erkennen, der Abagnale aus den Augen blitzt, wenn er seine Mitmenschen mit Lügen umgarnt, um ein Ziel zu erreichen. Darüber hinaus hat Büttner einfach auch eine schöne Gesangsstimme, der man gerne lauscht. Und ich bin felsenfest davon überzeugt, dass der lila Anzug, in dem Büttner zu Beginn und zum Ende seiner Show über die Bühne tanzt, hinsichtlich der Farbwahl kein Zufall war. Der Joker, der ebenfalls stets in lila Anzüge gewandet ist, hat mitunter den Beinamen „prank villain“, ist also ein Schurke, der Streiche spielt. Es würde sich hier quasi ein Kreis schließen. Dass Abagnale in der Magdeburger Inszenierung als Comic lesender Halunke dargestellt wird, der sich in einer Szene als Clark Kent ausgibt, sowie das Bühnenbild und so manches Kostüm tragen zu dieser Vermutung bei. Lange Rede, gar kein Sinn: Mit dieser Besetzung in der Hauptrolle ist den Verantwortlichen einmal mehr ein Volltreffer gelungen.

Ensemble, Philipp Büttner, Nigel Casey / 📸: © www.AndreasLander.de

Ein Volltreffer ist auch David Arnsperger als Carl Hanratty. Arnsperger werden viele Musical-Fans vermutlich vor allem aus seinen Rollen in „Das Phantom der Oper“ oder „Tanz der Vampire“ kennen. Seine Interpretation seines manisch-obsessiven und einigermaßen verklemmten FBI-Agenten Carl Hanrattys ist so überzeugend und gelungen, dass es eine wahre Freude ist. Schön in dem Zusammenhang übrigens, dass „Catch Me If You Can“ für ein Musical erstaunlich dialogreich ausgefallen ist – was den Akteur*innen auf der Bühne meines Erachtens mehr Möglichkeiten bietet, ihre jeweilige Figur mit Leben zu füllen. Ohne die Leistung der restlichen Darsteller*innen damit herabwürdigen zu wollen, aber Highlight und klarer Gewinner des Premierenabends war Arnsperger. Der braucht sich mit dieser Performance auch hinter einem Tom Hanks nicht zu verstecken, finde ich.

Besonders erwähnen möchte ich auch noch die weibliche Hauptrolle Brenda Strong, am Premierenabend gespielt von Jeannine Michèle Wacker. Wacker ist wie ihre männlichen Kollegen in der ein oder anderen Produktion von Stage Entertainment zu erleben gewesen, so unter anderem in „Kinky Boots“ und „Wicked“. Darüber hinaus spielte sie neben John Cusack die Hauptrolle in dem Science-Fiction-Thriller „Singularity“. Nachdem Wacker alias Brenda beinahe zum Schluss des Stücks ihre Solo-Nummer auf der Bühne performte, blieb ich staunend mit der Frage zurück, wie viel Herzblut und Hingabe man in eine Rolle stecken kann bei einem gleichzeitigen Höchstmaß an stimmlicher Leistung. Sensationell!

Jeannine Michèle Wacker / 📸: © www.AndreasLander.de

Nicht so ganz überzeugt war ich von Nigel Casey in der Rolle des Frank Abagnale Senior, was vor allem der Tatsache geschuldet war, dass sich in seine gesprochenen Beiträge mancher Haspler und manch verschlucktes Wort eingeschlichen hatte. Nicht wirklich dramatisch oder störend, aber auffällig.

Insgesamt wirkte der gesamte Cast aber sehr motiviert und spielfreudig auf mich. Die hübsch anzuschauende Choreografie, für die Danny Costello verantwortlich war und welche das ebenfalls hübsch anzuschauende Bühnenbild von Darko Petrovic einbezog, gab zusätzliche Bonuspunkte auf der nach oben offenen „och, das gefällt mir aber!“-Skala. Mit einer Stehlampe um sich bewegende Sessel und Sofa zu tanzen, auf der Carl Hanratty von Abagnales Mutter Paula (gespielt von Karin Seyfried) verführt wird – das war schon eine wirklich wunderbar zu beobachtende Szene, die sich in Worten nur schwerlich wiedergeben lässt und die zu den vielen Dingen dieser Inszenierung gehört, die man gesehen haben muss.

David Arnsperger, Tobias Stemmer, Manuel Lopez, Leopold Lachnit / Foto: © www.AndreasLander.de

Wie eingangs schon erwähnt, im Vergleich zur Vorjahresproduktion „Rebecca“ ist „Catch Me If You Can“ ein deutlich kleineres Stück. Eine kleinere, aber sehr schön gestaltete Bühne, viel weniger Feuer und Firlefanz, musikalisch auch viel weniger Bombast. Und das alles, ohne dabei auch nur im Ansatz so zu wirken, auf Sparflamme gekocht worden zu sein. Neben der Performance der Akteur*nnen auf der Bühne gehören auch die rund 350 Kostüme, die Kostümbildnerin Linda Schnabel entworfen hat und die, wie so vieles in dieser Aufführung, an bunte Comichefte erinnerte, zu den heimlichen Stars von „Catch Me If You Can“. Manches Mal wähnte ich mich fast mittendrin in dieser „Batman“-TV-Show aus den 1960er-Jahren. Es fehlte eigentlich nur noch, dass das gelegentliche Geballer der Pistolen mit einem knallbunten „PENG!“-Schild illustriert wurde! Darüber, ob es das Anliegen von Regisseur Felix Seiler war, diese Assoziationen zu wecken, kann ich nur spekulieren, denke aber schon. In jedem Fall aber gefällt mir das gut. Genauso auch, dass die Musik gut zu den jeweiligen Charakteren passte. Franks musikalische Themen sind eher in der Swing-Musik der 1960er-Jahre zu verorten, es ist demnach alles ein bisschen wilder, lebhafter, bunter und dynamischer. Dem gegenüber wirkt die Musikuntermalung von Carl Hanratty gesetzter, ruhiger, altmodischer – und wie aus mindestens einem Jahrzehnt früher stammend. Felix Seiler hat ein sicheres Gespür dafür bewiesen, seine Figuren entsprechend über das Spielfeld zu bewegen. Dass der Boden der Bühne wie ein ebensolches aussah … Ihr ahnt es möglicherweise bereits: Bonuspunkte!

David Arnsperger, Philipp Büttner / Foto: © www.AndreasLander.de

Die Zeiten, in denen wir leben, sind von zahlreichen Krisen und Ungewissheiten geprägt. Da ist der Krieg in der Ukraine, der nach wie vor das Potenzial hat, sich zu einem globalen Konflikt mit nuklearen Folgen auszuwachsen. Da ist die Klimakrise, die auch hierzulande unter anderem dazu führt, dass man in Berlin bereits über die Rationierung von Trinkwasser nachdenkt. Da sind die noch immer spürbaren Nachwirkungen der Corona-Pandemie, da ist die Inflation und was weiß ich nicht sonst noch alles, was einem Sorgenfalten ins Gesicht und einen Schatten in den Blick treiben kann. Inmitten von all diesem Chaos kommen nun also die guten Menschen vom Theater Magdeburg daher und ermöglichen mit dieser leichtfüßigen Gute-Laune-Inszenierung für die Dauer von rund drei Stunden (inklusive Pause) die Möglichkeit, all den Sorgen und allem Kummer zu entfliehen. Es ist dies einmal mehr ein gelungener Beweis dafür, dass Theater neben den sonstigen Unterhaltungsmedien wie Kino oder Streaming mehr als nur eine Daseinsberechtigung hat.

Somit bleibt als Fazit festzuhalten: „Catch Me If You Can“, so wie man es derzeit auf dem Domplatz in Magdeburg erleben kann, ist eine knallbunte, charmante, höchst vergnügliche Gaunerkomödie, die viel Spaß bereitet – und eine ganz wunderbare, kurzweilige Alltagsabschaltung. „Seltsam, aber wahr“!

Nigel Casey, Karin Seyfried, Philipp Büttner / Foto: © www.AndreasLander.de