Bei seinen Konzerten betont Enno Bunger gerne mal, dass er seit je her emotionale, bisweilen traurige Musik macht. Die Krönung dessen ist zweifelsfrei das im Sommer erschienene Album „Was berührt, das bleibt“, das sich einerseits mit dem Krebs-Tod der Frau von seinem Schlagzeuger und besten Freund in Personalunion, Nils Dietrich, auseinandersetzt, andererseits aber auch die Erfahrungen der Krebsdiagnose von Ennos Freundin Sarah thematisiert. „Was berührt, das bleibt“ ist bis dato das schönste und ergreifendste, aber auch das traurigste Album von Enno Bunger und seinen Mitstreiter*innen – und steht damit in krassem Kontrast zum vorhergehenden Album „Flüssiges Glück“, das im direkten Vergleich vor lauter Leichtfüßigkeit geradezu zu schweben schien.
Anzunehmen, dass eine Tour, die dem aktuellen Album gewidmet ist, eine die Stimmung drückende, vielleicht sogar selbsttherapeutische Angelegenheit werden könnte, fiel jedenfalls nicht schwer. Andererseits ist Enno Bunger gleichwohl auch ein begnadeter Entertainer, dem kein noch so flacher Gag zu schade ist, um sein Publikum erfolgreich zu unterhalten. Wie also würde ein solches Konzert letztlich ausfallen? Beim vorletzten Stopp der aktuellen „Was berührt, das bleibt“-Tour machten Enno und seine Band im Magdeburger Moritzhof Station, wo wir uns selbst einen Eindruck davon verschaffen konnten.
Moritzhof, oder: Ankommen und direkt heimisch fühlen
Der Moritzhof in Madgeburg ist eine wirklich schnuckelige kleine Location mit einem gemütlichen, als Biergarten fungierenden Innenhof, der in wärmeren Jahreszeiten gewiss zu längerem Verweilen als nur für ein schnelles Bier und eine Kippe einlädt. Die Konzerthalle selbst ist ebenfalls nicht übermäßig groß und, abgesehen vom hölzernen Dachstuhl, erinnert mich die Hütte ein wenig an die Gewölbe der Moritzbastei in Leipzig. Muss am Namen liegen. Jedenfalls kommt man in den Moritzhof hinein und fühlt sich sofort überraschend heimisch. Konzertgänger*innen, die kleinere, dafür aber charmant-gemütlichere Spielstätten bevorzugen, sollten sich diesen Ort mit auf den Schirm nehmen.
Punkt 20 Uhr gingen die Lichter auf der Bühne an und Enno begrüßte zunächst die anwesenden Gäste, um mit einer kurzen Anmoderation den Support-Künstler des Abends anzukündigen: Betterov, ein junger Mann, über den bisher zumindest mir nur wenig mehr bekannt ist, als dass er von Enno mit wärmsten Empfehlungen auf die Bühne geschickt wurde, im Theater groß geworden sein und die Wurzeln irgendwo in Thüringen haben soll. Eine erste Single namens „Dynamit“, die über die gängigen Portale erhältlich ist – that’s it. Vielleicht ist es manchmal gar nicht so schlecht, nicht mehr über eine*n Künstler*in zu wissen. Das hat nämlich dann den Vorteil, dass man sich nicht schon aufgrund irgendwelcher Infos ein Bild im Kopf malen kann, sondern wirklich nur das, was auf der Bühne passiert, unvoreingenommen auf sich wirken lässt.
Auf charmante Weise aufgeregt: der Support-Künstler Betterov
Nur eine Handvoll Songs hatte der auf sehr charmante Weise aufgeregte Betterov im Gepäck, die aber ausreichten, die Sympathien des Publikums zu gewinnen. Ich bin mir nicht sicher, ob Betterov schon viel Erfahrung auf einer Konzertbühne gesammelt hat, als Support für Enno Bunger war es jedenfalls sein erster Auftritt. Und auch wenn er in seinen unterhaltsamen Zwischenansagen aufgeregt wirkte – sobald er vor seinem E-Piano anfing, seine Songs zu spielen, wurde aus dem Jungen ein leidenschaftlicher Vollblutmusiker, der ganz in seinen Songs aufging. Songs „über das Leben auf dem Land. Wie es ist, wenn alle wegziehen. Über Liebe, die stirbt, sobald man nüchtern wird. Und wie es ist, in der Generation zu leben, der alle Türen offenstehen, aber es vor lauter Angst nicht mal aus ihrem eigenen Zimmer schafft“, wie es auf der Webseite des Konzertveranstalters heißt. Wir mussten ein wenig an Rio Reiser denken, was sicherlich nicht das Schlechteste ist, was sich über eine*n Newcomer*in sagen lässt.
Nach einer kurzen Umbaupause hieß es ca. 20:45 Bühne frei für Enno Bunger, Nils Dietrich, Onno Dreier und Phil Makolis, die sichtlich gut gelaunt darauf brannten, die bisher sehr erfolgreiche Tour auch in Magdeburg zu einem Highlight werden zu lassen. Sie eröffneten mit dem Stück „Kalifornien“ vom eingangs erwähnten, aktuellen Album. Ich bin mir gerade nicht mehr ganz sicher, ob es nicht sogar schon das zweite Stück des Abends war, in jedem Fall aber wurde Ennos Über-Hit „Regen“ ziemlich und überraschend früh gespielt. In jedem Fall diente es aber als Überleitung zu dem Teil des Abends, der sich den traurigsten Stücken von „Was berührt, das bleibt“ widmete, allen voran „Stark sein“ (die Diagnose) und „Konfetti“ (das Abschiednehmen). Es war sicht- und spürbar, dass diese persönlichsten, diese dramatischsten Songs, die jemals Ennos Feder entsprungen sind, auch in ihrer Live-Darbietung das Publikum bewegten. Wir fanden es überdies im höchsten Maße beeindruckend und respektabel, wie gut Enno und vor allem auch Nils mit der den Songs zugrundeliegenden Situationen auf der Bühne umgegangen sind. Musik als Selbst- und Gruppentherapie? Im Falle Enno Bungers scheint das zu funktionieren.
Die musikalische Trauerarbeit direkt zu Beginn, anschließend wurde es fröhlich(er)
Danach aber war es aber im Großen und Ganzen vorbei mit der Trauermucke. Auch wenn auffällig war, dass sich der Rest des Abends im Wesentlichen auf die fröhlicheren Songs von „Was berührt, das bleibt“ („Bucketlist“ zum Beispiel oder „One Life Stand“) sowie auf „Flüssiges Glück“ konzentrierte. Ein „Ich möchte noch bleiben, die Nacht ist noch jung“ fehlte dennoch nicht in der Setlist. Genauso wenig wie die ultimative Joggerhymne „Renn“, die Liebeserklärung an eine der schönsten Städte der Welt („Hamburg“) und das leider Gottes immer noch so hochaktuelle „Wo bleiben die Beschwerden?“, das von allen Songs übrigens den langanhaltendsten Applaus bekam. Uns hat es gefreut, dass diese Nummer in Sachsen-Anhalt, wo die AfD ebenfalls eine viel zu starke Lobby hat, so sehr gefeiert wurde. Genauso wie Ennos anschließende Ansprache, den Song so oft zu spielen, wie Rassismus, Antisemitismus, Sexismus und Homophobie ein Problem in unserer Gesellschaft sind.
In gleicher Rede kam Enno auf ein anderes, ihm sehr am Herzen liegendes Thema zu sprechen: den Klimawandel. Und sein Unverständnis darüber, dass es immer noch Leute gibt, die wissenschaftliche Erkenntnisse leugnen. Wie er da auf der Bühne darüber sprach, sinnierte er auch, ob er nicht auch darüber einen Song machen sollte – was wir kurzerhand mit dem Zwischenruf „mach mal!“ quittierten.
Politische Statements und Anekdoten zwischen den Songs
Zwischen den Songs gab Enno neben den politischen Statements auch immer wieder Anekdoten und Gags zum Besten, die mitunter flacher waren als Ostfriesland, Ennos Heimat – dadurch aber nicht weniger unterhaltsam. So erklärte uns Enno beispielsweise auch, dass er ausgerechnet über Instagram als zur Teilnahme einer Castingshow eingeladen wurde, dies aber mittelfingerdankend abgelehnt habe. Richtig so. Nach ziemlich üppigen zwei Stunden war das gleichermaßen vergnügliche wie kurzweilige, berührende wie wunderbare Konzert leider schon wieder vorbei. Entgegen so mancher Befürchtung nicht deprimierend, dafür aber einmal mehr gelungene Unterhaltung. Die Spielfreude der Band sowie die stimmungsvolle Lichtshow trugen ein Übriges zu einem sehr gelungenen Konzertabend bei. Es bleibt zu wünschen, dass wenn Enno und Band das nächste Mal auf Tour gehen – und das werden sie, davon können wir wohl gesichert ausgehen – sie die traurigen Songs von „Was berührt, das bleibt“ nicht mehr mitbringen müssen. Und überhaupt auch nie wieder ein Album wie ebendieses machen mussten, um die Wunden auf der Seele zu heilen.