Vieles ist schon über Steve Jobs, den legendären Gründer Apples, gesagt und geschrieben worden. Auch an Büchern, die sich mit dem Aufstieg der Computerfirma aus Cupertino, vor allem aber mit dem Aufstieg und dem zeitweiligen Fall des Gründers und dessen spektakulären zweiten Frühling befassen, mangelt es wahrlich nicht. Im Bereich der Biografien galt zuletzt „Steve Jobs. Die autorisierte Biografie des Apple-Gründers“ als das Standardwerk, nicht zuletzt, weil die Arbeit von Walter Isaacson den Segen von His Steveness erhalten hatte. Gibt es also noch irgendetwas über den gleichermaßen kultisch verehrten, wie umstrittenen Visionär zu erzählen, das noch nicht irgendwann, irgendwo zwischen zwei Buchdeckel gepresst worden wäre? Nun, Brent Schlender und Rick Tetzeli sind durchaus überzeugt, dass zum Thema Steve Jobs noch nicht alles gesagt wurde. In ihrem Anfang November 2015 erschienen Buch „Becoming Steve Jobs“ versuchen sie erneut, das Leben und Wirken von Jobs zu beleuchten. Und tatsächlich hat man nach der Lektüre dieses Buches als Außenstehende*r, welche*r sich für Steve Jobs interessiert, den Mann aber nie kennengelernt hat, das Gefühl, man hätte sein Wesen und seinen Charakter einigermaßen verstanden. Und das vielleicht erstmals überhaupt.
Im Klappentext des Buches heißt es:
Vom angry young man zum Ausnahme-Unternehmer
Halb Genie, halb Wahnsinniger, Guru, Choleriker und Kontrollfreak — das ist das vorherrschende Bild, das sich die Welt von Steve Jobs gemacht hat. Jobs selbst hat zu seinen Lebzeiten dieses Image gern gepflegt, und seine Biographen sind ihm bereitwillig gefolgt. Vier Jahre nach seinem Tod im Oktober 2011 ist es nun an der Zeit, ein klareres Bild des Apple-Gründers zu zeichnen, ein Bild, das frei ist von Klischees und Vorurteilen.
Brent Schlender begleitete Steve Jobs über zwanzig Jahre lang, der engen Freundschaft der beiden verdanken wir tiefe Einblicke in das Leben des Unternehmers und in das Imperium von Apple. Auf Grundlage zahlreicher Gespräche mit Jobs selbst, mit engsten Vertrauten und Weggefährten wie Tim Cook oder auch Bill Gates ist ein ebenso differenziertes wie leidenschaftliches Porträt entstanden, das in seinem Kern der Frage nachgeht, wie aus einem ungestümen jungen Gründer die wichtigste Unternehmerpersönlichkeit unserer Zeit reifen konnte.
Die Nähe Schlenders und das Know-how Tetzelis — beide gehören zu den profiliertesten Technikjournalisten und zu den besten Kennern der Silicon-Valley-Szene — machen Becoming Steve Jobs zu einer mitreißenden Geschichte der Technologie-Ära und zu einer Biografie, die den Unternehmer nicht zur Ikone erhebt, sondern den Menschen hinter dem Mythos zum Vorschein bringt.
Dass ich nachfolgend „Becoming Steve Jobs“ mit Isaacsons offizieller Biografie vergleiche, liegt auf der Hand. Beide Biografien sind von Leuten verfasst worden, die sich einige Zeit persönlich mit dem Apple-Gründer auseinandergesetzt haben. Bei Brent Schlender sind es insgesamt mehr als 20 Jahre, die er im Rahmen seiner Tätigkeit als Journalist immer und immer wieder mit Jobs zu tun hatte. Ein sehr langer Zeitraum, der seinen Anfang nahm, als Jobs schon Apple verlassen und NeXT gegründet hatte. Ein Zeitraum vor allem, der ausreichte, dass Jobs in Schlender einen Freund sah. Es ist dies ein nicht zu unterschätzendes Detail, das Walter Isaacson wohl nicht von sich behaupten können dürfte. Während der Lektüre von „Becoming Steve Jobs“ erfahren Interessierte beispielsweise, dass Schlender zu dem extrem überschaubaren Personenkreis gehörte, die wirklich wussten, wie es um Jobs’ Gesundheit bestellt war. Dass dieses Buch daher auch aus einer emotionalen Bindung heraus entstand, verleiht ihm zusätzliche Tiefe — zumal sich Schlender von Jobs eben nicht hat blenden lassen. Ganz im Gegenteil: gerade in Jobs jungen Jahren hat Schlender auch so manches Mal die unangenehme Seite des Apple-Gründers erleben müssen.
Chronologisch orientiert sich das Werk ziemlich grob am Leben von Steve Jobs, hält sich dabei aber nicht mit Einzelheiten oder Details wie seinen Jugendjahren inklusive seiner Adoptionsfreigabe, den Jahren im Elternhaus, seiner Zeit an der Uni oder seinem Studienabbruch auf. Das wird zwar gelegentlich in Nebensätzen immer mal wieder angerissen, der Schwerpunkt liegt, wie anfangs erwähnt, jedoch nicht in einer möglichst genauen Schilderungen der diversen Stationen seines Lebens als viel mehr dem Herausarbeiten bestimmter Situationen, die Jobs Leben, die Apple und ein Stück weit auch die Welt für immer verändert haben. Brent Schlender und sein Co-Autor Rick Tetzeli stützen sich dabei vorrangig auf unzählige Gesprächsnotizen und Interviews, die sie mit Jobs und vielen, vielen Menschen, die in Jobs’ Entwicklung eine größere Rolle spielten, führten. Tatsächlich konnte ich mich beim Lesen über weite Strecken des Eindrucks nicht erwehren, dass dieses Buch einer Rückblende gleichkommt. Alte Freunde und Feinde sinnieren über das Leben von Steve, vor allem und ganz besonders über seine Wesenszüge. Über die unkontrollierbaren Ausraster in seiner Jugendzeit und in seiner ersten Runde bei Apple. Über den Reifeprozess, den er bei NeXT und Pixar durchlebte und der ihn als besänftigten, gereiften Anführer des heutigen Technikgiganten „eine Delle ins Universum“ hauen ließ, wie er wohl selbst gesagt hätte.
„Meiner Meinung nach hat die Biografie von Walter Isaacson seinem Andenken sehr geschadet“ (Tim Cook)
Und tatsächlich: So manches Interview, auf das sich Schlender und Tetzeli hier stützen, führten die Autoren erst Jahre nach dem viel zu frühen Tode von Jobs. Ganz gleich ob Bill Gates, John Sculley, Ed Catmull, Tim Cook oder Jony Ive — jeder, der in irgendeiner Form eine Rolle dabei spielte, Apple dorthin zu bringen, wo es heute steht, kommt zu Wort. Und das ist es, was dieses Buch von Isaacsons Biografie im Wesentlichen unterscheidet! Die in „Becoming Steve Jobs“ aufgeführten Interviews und Zitate versuchen nicht, den Apple-Gründer in ein besonders positives oder besonders negatives Licht zu rücken. Sie schildern einfach, wie Steve Jobs getickt hat. Aus der Sicht eines Reporters, der mit ihm befreundet war. Und das, da stimme ich mit dem Klappentext überein, hat nur sehr bedingt etwas mit den gängigen Klischees zu tun, die über den Mann noch immer kolportiert werden.
Isaacsons Buch ließ Jobs am Ende wie eine jämmerliche Heulsuse wirken, die entweder in Tränen aufgelöst in der Ecke saß oder aber herrisch und jähzornig gegenüber seinen Untergebenen wütete. Kein Wunder, dass die offizielle Biografie bei denen, die Jobs über viele Jahre sehr nahe standen, nicht sonderlich gut wegkommt. Ich möchte an dieser Stelle Tim Cook, den aktuellen Boss bei Apple, aus „Becoming Steve Jobs“ zitieren, um das zu verdeutlichen. Er sagt nämlich: „Meiner Meinung nach hat die Biografie von Walter Isaacson seinem Andenken sehr geschadet. Sie bestand nur aus aufgewärmten Resten, aus alten Artikeln, und hat sich stark auf bestimmte Seiten seines Charakters konzentriert. Man bekommt den Eindruck, Steve sei ein gieriger, selbstsüchtiger Egomane gewesen. Den Menschen Steve Jobs hat das Buch überhaupt nicht erfasst. Mit dem Menschen, der da geschildert wird, hätte ich nicht so lange zusammenarbeiten wollen. Dafür wäre mir mein Leben zu schade gewesen.“
Das lasse ich mal unkommentiert so stehen. In „Becoming Steve Jobs“ geht es nicht darum, Apple über den grünen Klee zu loben. Tatsächlich gibt es auch diverse Momente, in denen ganz offenkundig Kritik an Jobs oder am Geschäftsgebaren von Apple geäußert wird. Es geht auch nicht darum, Apple oder Steve Jobs als Innovationsmotor Nummer 1 zu huldigen. Hier wird anhand diverser Ausschnitte aus seinem Leben aufgezeigt, wie aus dem ach so zornigen jungen Mann, der einst sogar seine eigene Tochter verleugnete, ein visionärer Unternehmenslenker wurde, dessen Begeisterung für Schönheit, Design und Technik, dessen Fähigkeit zu erkennen, wie sich Technologie verwenden ließe, um etwas Neues zu schaffen, die Welt veränderte.
„Becoming Steve Jobs“ ist bisher von allen Werken, die zum Thema erschienen sind, zweifelsohne das, welches einem die Person Steve Jobs am ehesten begreifbar, verständlich und nachvollziehbar macht. Neben den erwähnten Interviews und Zitaten sind es primär zwei Dinge, die wesentlich dazu beitragen: der komplette Abdruck von Steves weltberühmter Stanford-Rede sowie die Trauerrede seiner Ehefrau Laurene Powell.
Wem kann ich dieses Buch nun also abschließend empfehlen? Apple-Fans sowieso. Noch lieber jedoch möchte ich „Becoming Steve Jobs“ allen ans Herz legen, die eine Abneigung gegen Apple hegen. Es erklärt nicht nur, warum sich Apple heute in so vielen Punkten so verhält, wie es sich verhält, sondern zeigt auch auf, warum wir ohne Steves sensationelle Fähigkeit, eine Sache zu sehen und sich dadurch eine andere vorzustellen, heute vielleicht nicht mit einem Smartphone in der Hand durchs Leben ziehen würden. Oder zumindest nicht in dieser Form.
Muss nach „Becoming Steve Jobs“ noch etwas erzählt werden? Nein, wahrscheinlich nicht. Fundamentale neue Erkenntnisse wird es keine mehr geben, und dieses Buch setzt Steve Jobs endlich mal das literarische Vermächtnis, das der Mann verdient. Eine Leistung, welche die offizielle Biografie nicht vollbracht hat.