Vor einer Woche habe ich Euch an dieser Stelle das sagenhaft gute, kommende mind.in.a.box-Album „Black & White“ vorstellen dürfen. Es ist nicht nur das bisher längste Album der Band, sondern vor allem auch eines, das sehr dicht an der Perfektion ist. Vom heutigen Tag, also dem Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Beitrags hier, dauert es aber immer noch ein paar Tage, bis „Black & White“ überall dort verfügbar ist, wo man gute Musik bekommen kann. Seit der Veröffentlichung von „Broken Legacies“ im Jahre 2017 ist viel passiert in der Welt. Nicht zuletzt der rasante Durchmarsch von künstlicher Intelligenz – etwas, das vor noch gar nicht so langer Zeit noch ins Reich der Science-Fiction gehörte – machte es förmlich obligatorisch, dem kreativen Kopf hinter der Band, die sich wie keine zweite die Kombination von Science-Fiction und Musik auf die Fahne geschrieben hat, ein paar Interviewfragen zu stellen. Mit dem, was Stefan Poiss zu erzählen hat, zum Thema KI, vor allem aber natürlich auch über „Black & White“, möchten wir Euch die Wartezeit ein bisschen verkürzen.
Roman Empire: Gute sechs Jahre sind vergangen zwischen der Veröffentlichung von „Broken Legacies“ und dem neuen Album „Black & White“. Sechs Jahre, in denen so unfassbar viel passiert ist in der Welt, von einer weltweiten Pandemie über den Krieg in der Ukraine bis hin zum Vormarsch der künstlichen Intelligenz. Dadurch fühlt sich die vergangene Zeit gleich doppelt so lang an. Da Fans von mind.in.a.box noch nie so lange auf neue Musik warten mussten, stellt sich die erste Frage quasi schon von selbst: Was war der Grund dafür, dass es so lange gedauert hat?
„Es fühlte sich sinnlos und vollkommen unnötig an, zu dieser Zeit Musik zu machen, da man soviel andere Sorgen hatte. Das Problem ist die Angst. Man muss sie loswerden.“
Stefan Poiss: Genau diese turbulente Zeit war die Hauptursache. Wenn ich Musik mache, ziehe ich mich in meine eigene kleine Welt zurück, stelle mir die Geschichte rund um mind.in.a.box vor und lasse mich daraus inspirieren. Das fiel mir extrem schwer, bzw. war eine Zeit lang unmöglich, wenn die Welt rundherum verrückt spielt. Es fühlte sich sinnlos und vollkommen unnötig an, zu dieser Zeit Musik zu machen, da man soviel andere Sorgen hatte. Das Problem ist die Angst. Man muss sie loswerden.
Roman Empire: Die Pandemie hat unter anderem den Kunst- und Kulturbereich stark getroffen. Ich habe von diversen Musikschaffenden gehört, die unter den Einschränkungen finanziell ziemlich gelitten haben. Konzerte wurden abgesagt, Clubs haben ihren Betrieb eingestellt und so weiter. In Österreich wird es wohl ähnlich gewesen sein. Wie war das bei Dir, wie hast Du die Pandemie erlebt? Hatte sie Auswirkungen auf Dein Tun als Musiker?
Stefan Poiss: Ja, das war hier genauso. Kunst & Kultur kam zum Stillstand. Abgesehen von ein paar Tonstudio-Jobs machte ich musikmäßig kaum etwas. Mit der Zeit lernte ich mich aber loszulösen von der ständigen Panikmache und lernte vor allem wieder, mich in die eigene Vorstellung versinken zu lassen. Das ist es, was mir am Musikmachen nämlich so gefällt. Sich selbst eine eigene kleine Welt erschaffen und daraus Melodien und Musik herausziehen.
„Rein technisch hat sich bei mir relativ wenig verändert. Mein wassergekühlter Computer verrichtet seit vielen Jahren seinen Dienst. Der Rechner hat ein altes Betriebssystem und wurde seit langem nicht mehr upgedated.“
Roman Empire: In der vielen Zeit, die seit dem letzten Album vergangen ist, sind viele neue Tools entstanden, man entwickelt sich weiter, dies das – hat sich Deine Arbeitsweise in den Jahren verändert? Ich bilde mir zum Beispiel ein, dass der Sound gegenüber früheren Alben organischer geworden ist. Dass nicht nur Maschinen die Töne erzeugen, sondern beispielsweise auch Menschen, die eine Gitarre spielen können.
Stefan Poiss: Rein technisch hat sich bei mir relativ wenig verändert. Mein wassergekühlter Computer verrichtet seit vielen Jahren seinen Dienst. Der Rechner hat ein altes Betriebssystem und wurde seit langem nicht mehr upgedated. Im Prinzip kann ich damit alles machen, was ich möchte. Was ich diesmal anders machte war, nachdem die Songs schon fertig waren, ich tauschte einige Melodien, die aus Software Synthesizern kamen, gegen alte Hardwaresynths aus. Das brachte zusätzlich noch etwas Nostalgie mit rein. Krass, dass dir das auffällt. Gitarren sind, was ich mich erinnern kann, keine dabei.
Roman Empire: Neben den vielfältigen Stimmverzerrungen, die teilweise von früheren Alben vertraut vorkommen, gibt es auf diesem Album auch in kurzen Momenten Stimmen zu hören, die nicht Deine ist. Die von Joshua Kreger und Elizabeth Hourigan nämlich. Ich frage mich, ob das vielleicht ein Indiz dafür ist, dass die Möglichkeiten des technisch Machbaren, was das (sinnvolle) Verfremden von Stimmen anbelangt, vielleicht schon ausgereizt sind?
Stefan Poiss: Das war teilweise notwendig für jene Stellen, wo die Story gesprochen wurde. Josh, der ja auch alle Texte und die Story schrieb, übernahm den Part von unserem Charakter “The Friend” und Elizabeth einen Satz von “Night”. Echte Stimmen sind da einfach nicht zu ersetzen.
Ich würde übrigens sehr gerne mal einen Song mit einer guten Sängerin machen. Leider scheiterte der Versuch bisher immer an diversen Dingen.
Roman Empire: Zwei Dinge sind beim neuen Album inhaltlich ganz besonders auffällig: Erstens: die Texte der Story als auch die der Songs stammen, wie beim Vorgänger, von Joshua Kreger. Bis zur Veröffentlichung von „Memories“ (2015) waren dafür aber Andreas Gruber bzw. Markus Hadwiger zuständig. Wie kam es zu dem Wechsel? Und: war das eine bewusste Entscheidung, wirklich jeden Song für die Handlung zu nutzen und sie damit voranzutreiben? Wenn ich mich nicht sehr irre, ist das in dieser Konsequenz neu.
Stefan Poiss: Für die Songtexte brauchte ich deswegen einen neuen Texter, weil Markus neben seinem Hauptjob zu wenig Zeit fand, noch Songtexte zu schreiben. Das war ein bis zwei Alben davor schon absehbar. Josh macht jetzt aber einen unglaublich guten Job. Bin wirklich froh, mit ihm zusammenarbeiten zu dürfen.
Andreas Gruber ist mittlerweile ein Bestseller-Krimi-Autor geworden. Absoluter Wahnsinn und großes Kompliment und Gratulation. Ich lese seine Bücher wirklich sehr gerne. Ich dachte mir aber, wenn Songtexte und Story aus derselben Feder stammen würde, würde alles noch stringenter und dazu noch unkomplizierter werden. So durchdacht und fließend zwischen Song-Lyrics und Story wechselnd schafften wir das zuvor, denke ich, noch nie.
„Wenn dann 70 % des Albums fertig sind, machen wir explizit Songs, die von der Songart noch im Album fehlen. Eine Ballade, ein härterer Track usw.“
Roman Empire: Daran anknüpfend: Kannst Du uns ein bisschen was darüber erzählen, wie die Songs entstehen? Was steht denn zuerst? Das nächste große Kapitel der Handlung, aus der Joshua die Texte für die einzelnen Songs extrahiert? Oder hast Du erst eine Melodie im Kopf? Entstehen die Songs durch Herumexperimentieren und Joshua versucht, die Texte entsprechend der Stimmung der Songs zu gestalten? Kannst Du einen kleinen Einblick gewähren, wie ein mind.in.a.box-Album entsteht?
Stefan Poiss: Na ja, prinzipiell würde ich es so grob beschreiben. Story-mäßig brainstormen wir, wie es weitergehen soll. Josh schreibt einen Songtext, den er mir schickt. Manchmal bekommt er davor schon ein Demo eines Tracks. Das Demo ist aber eher als Inspiration gedacht und nicht als Grundlage oder Instrumentalversion eines Songs. Dann nehme ich den Songtext und fange meistens einen komplett neuen Song damit an. Den ändere ich dann noch viele Male und irgendwann ist er dann fertig. Neu waren diesmal Tracks wie “The Insurrectionist”, die Ausschnitte aus der Story beinhalten, die teilweise erzählt und aber nun auch teilweise gesungen wurden. Ein Refrain mit einem Story-Text! Das fand ich extrem spannend. Wenn dann 70 % des Albums fertig sind, machen wir explizit Songs, die von der Songart noch im Album fehlen. Eine Ballade, ein härterer Track usw.
Roman Empire: Eine Spielzeit von 74 Minuten, verteilt auf 16 Songs, die noch dazu eine durchgängige Handlung erzählen und eigentlich nicht dazu dienen, separiert in irgendwelche Playlists gepackt zu werden: Ist „Black & White“ vielleicht auch eine sehr bewusste Kampfansage gegenüber immer geringer werdende Aufmerksamkeitsspannen?
Stefan Poiss: So weit denke ich gar nicht. Ziel war und ist es immer, ein cooles Konzeptalbum zu machen. Ob das nun zeitgemäß ist oder nicht, interessiert mich eigentlich gar nicht. Ich bin da viel zu stur, um mich von anderen Trends beeinflussen zu lassen. Meist krieg’ ich das gar nicht mit, was grad in Mode ist.
„Die Digitalisierung ist generell ein großes Problem. Was zuerst cool und lustig ist, was die KI einem Schönes schreiben kann, kostet dich möglicherweise morgen deinen Job. Wozu brauchen wir die KI eigentlich? Das würde mich sehr interessieren.“
Roman Empire: Ein Thema, was wir zwingend kurz anreißen müssen, ist das Thema KI. Als 2004 Euer Debütalbum „Lost Alone“ erschien, war KI nur Stoff für Science-Fiction-Geschichten wie Eure. Selbst bis zur Einführung der eher semi-pfiffigen Siri sollten von da an noch gute sieben Jahre vergehen. Heute warnen Wissenschaftler vor dem Einsatz von KI, fordern strenge Regulierungen und schätzen, dass die Wahrscheinlichkeit, dass eine Super-KI die Menschheit auslöscht, bei inzwischen 10 Prozent. Wie ist Deine Einschätzung zu dem ganzen Thema?
Stefan Poiss: Ich glaube, das dient dazu, sich dem “Rechtssystem”, zu entziehen. Dann kannst du machen, was du willst und behauptest hinterher, die böse KI war es. Bin der Meinung, es steuern sehr wohl Menschen in zumindest welche Richtung “KIs” gelenkt werden. Die Digitalisierung ist generell ein großes Problem. Was zuerst cool und lustig ist, was die KI einem Schönes schreiben kann, kostet dich möglicherweise morgen deinen Job. Wozu brauchen wir die KI eigentlich? Das würde mich sehr interessieren. Wobei das habe ich mir ja selbst schon beantwortet … wahrscheinlich um sich dem “Rechtssystem” zu entziehen.
Roman Empire: In dem Zusammenhang: Peter Gabriel sieht in der KI ein Werkzeug, das man lieber nutzen als verfluchen sollte, Nick Cave hingegen hält das alles für Bullshit, weil es nur seelenloser Müll produziere und die Sängerin Grimes hat ihre Stimme digitalisieren lassen und für die Verwendung von KI freigegeben. Als Musiker, der sich so dem widmet, was wahrscheinlich schneller keine Science-Fiction mehr ist als wir es uns vorstellen können: Ist der Einsatz von KI für Dich vorstellbar? Oder nutzt Du vielleicht schon Tools? Wenn ja, welche und wenn nein, warum nicht?
Stefan Poiss: Für das Album habe ich zuerst überlegt, “Illustrationen” von einer dieser KIs zu verwenden, weil ich mir schwertat, jemanden zu finden … und mich dann aber dagegen entschieden. Ich denke diese AIs haben riesige Datensammlungen, die benutzt werden, um nach deinen Vorgaben Dinge zusammenzukopieren. Diese Daten stammen aber von uns allen selber, nehme ich an, zu denen du möglicherweise in irgendeinem AGB-Paragrafen unwissentlich zuvor zugestimmt hast. Ob es jemals möglich ist, dass eine KI einen coolen Song schreibt, weiß ich leider nicht. Ich selber habe beschlossen, mich von all den KI-Sachen fernzuhalten.
Roman Empire: Hast Du eigentlich Pläne, jemals wieder auf die Bühne zurückzukehren? Das letzte Mal, dass ich mind.in.a.box live erlebt habe, war 2011 im Rahmen des Amphi Festivals in Köln – was eindeutig viel, viel zu lange zurückliegt.
Stefan Poiss: Vielleicht, wenn sich die Welt wieder beruhigt hat. Derzeit gibt es leider keine Pläne, live zu spielen.
Roman Empire: Was steht als Nächstes an? Sieht man mal von „Activate“ ab, das mich ein bisschen an die „R.E.T.R.O.“-Zeiten erinnert, gibt es meines Erachtens keinen Song des Albums, den man einfach mal so aus dem Kontext reißen und als Single veröffentlichen kann. Aber Remixe oder Extended Versions kann ich mir hingegen sehr wohl vorstellen. Gibt es Pläne in diese Richtung?
Stefan Poiss: Ich arbeite derzeit an einer Art Remix EP, wo ich ein paar Songs des Albums anders interpretieren werde. Das wird eher für den Club gedacht sein. Ja das mit dem Retro … es fragen viele Leute, ob es ein Retro II geben wird. Da überlege ich, ob ich das tatsächlich angehen soll. Eine so große Musikpause wie vor dem Album hoffe ich nicht wieder einlegen zu müssen.
Roman Empire: Die Dreamweb-Saga ist nach nunmehr sieben Alben ziemlich üppig in ihrem Umfang. Hast Du schon mal darüber nachgedacht, die Protagonisten in anderen Medien auftreten zu lassen? Comics, Bücher, Videos, so was in der Art. Oder gar das Konzept in anderen Unterhaltungsbereichen zu erweitern?
Stefan Poiss: Vor einiger Zeit bekam ich eine Anfrage eines Autors, der ein Buch mit der mind.in.a.box-Story schreiben wollte. Ich glaube, die Zeit ist noch nicht reif dafür und habe es abgelehnt. Ein Buch oder Comic wäre aber prinzipiell sicher eine coole Sache. Video wäre ganz schwierig umzusetzen.
Roman Empire: Dein Nebenprojekt Thyx, lebt das noch? Bis auf ein paar vereinzelte Singles – die letzte, „Television Nation“, kam 2020 und liegt demnach auch schon wieder eine Weile zurück – ist es ziemlich ruhig geworden um das Projekt. Kommt da noch was?
Stefan Poiss: Gute Frage. Hatte ich früher zu viel Zeit für ein Musikprojekt, wird es heute schon schwierig für ein einziges Musikprojekt. Ich fürchte, derzeit ist mind.in.a.box wieder im kompletten Fokus.
Roman Empire: Es wird Zeit für die berühmt-berüchtigten letzten Worte eines Interviews. Gibt es noch etwas, das Du noch loswerden möchtest?
Stefan Poiss: Ich bedanke mich sehr bei meinen treuen Hörern! Nach fast 6 Jahren Pause war ich mir nicht sicher, ob die Musik von mind.in.a.box noch Interesse wecken würde. Vielen Dank!