Von Hoffnungsschimmern und schonungsloser Realität: Warum „Gute Laune ungerecht verteilt“ von Kettcar eines der wichtigsten Alben des Jahres 2024 ist
📸: Andreas Hornoff

Von Hoffnungsschimmern und schonungsloser Realität: Warum „Gute Laune ungerecht verteilt“ von Kettcar eines der wichtigsten Alben des Jahres 2024 ist

Mit dem Fall des Presse-Embargos am 29.3. gingen auch direkt die ersten Reviews des neuen Kettcar-AlbumsGute Laune ungerecht verteilt“ ins Netz. Verschiedentlich las ich irgendwas von Comeback. Klar, bei dem ersten Album seit dem 2017er-Überalbum „Ich vs. Wir“ und der (angekündigten) Pause kann man das so sehen, dass die Band aus Hamburg mit dem sechsten Langspieler ein Comeback feiert. Ich sehe das nicht so. Von meinem musikalischen Horizont sind Kettcar nie verschwunden. Zeiten und Zustände waren damals schon scheiße, so im Gesamten betrachtet, und die Dinge sind seitdem nicht besser geworden. Kriege, Pandemie, Querdenker, Nazis, die von Deportation fantasieren und daraus nicht mal mehr einen Hehl machen, Klimakrise und die zu befürchtende Rückkehr eines Präsidenten namens Trump. Und dazu die allgegenwärtige Gefahr, die vom Machthaber in Moskau ausgeht. Genau genommen dampft die Kacke heute sogar noch mehr als vor sieben Jahren. Was das mit dem Stammplatz an meinem musikalischen Horizont zu tun hat, fragt Ihr? Ganz einfach: mit „Den Revolver entsichern“ lieferten Kettcar auf dem letzten Album das perfekte Mantra mit, um in all dem Chaos nicht Kopf, Schultern und Mundwinkel sinken zu lassen. „Von verbitterten Idioten nicht verbittern lassen“. Galt damals, gilt heute, wird auch in Zukunft gültig sein. Schauen wir an dieser Stelle doch mal, was die neue Langrille kann, ungeachtet irgendwelcher Definitionssschubladen.

Vorab waren ein paar Singles veröffentlicht worden, die mich als direkt in eine Falle haben tappen lassen. Da war etwa das Stück „München“, das sich mit dem leider immer noch nur allzu gegenwärtigen Alltagsrassismus auseinandersetzt. Die musikalische Aufarbeitung von „Nee, wo Du wirklich herkommst, mein ich“, eingepackt in ein peitschendes, Post-Punk-Gewand, mit ordentlich Druck (lies: Zorn) auf dem Kessel. Der Weg ist für uns als Gesellschaft noch sehr weit und offenbar haben wir angesichts dringender Krisen noch zu viel Kapazitäten zur Verfügung, um über Hautfarben unserer Mitmenschen nachzudenken. Oder deren sexuelle Orientierung bzw. geschlechtliche Identifikationen infrage zu stellen. Wichtig ist doch, dass ein Markus Söder sich zur Sprachpolizei aufbäumt. Zack, alle Probleme mit einem Schlag gelöst! Wer Zynismus findet – ja, ich weiß. Das oben zitierte Mantra hat es bei all dem Schwachsinn manchmal wirklich schwer, zu wirken.

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