Überwältigend ist eines der Worte, nach dem Ihr suchen werdet: „Under a timless spell“ von Diary of Dreams ist nämlich genau das: beeindruckend. Ergreifend. Überwältigend.
📸: Daniela Vorndran

Überwältigend ist eines der Worte, nach dem Ihr suchen werdet: „Under a timless spell“ von Diary of Dreams ist nämlich genau das: beeindruckend. Ergreifend. Überwältigend.

So richtig kann mir niemand weismachen, dass die Ankündigung, Diary of Dreams hätten mit der Philharmonie Leipzig ein Album aufgenommen, sooo überraschend gewesen wäre. Schließlich gab es in den Jahren zuvor den Auftritt beim Gothic meets Klassik Festival, demnächst sind sie zusammen mit VNV Nation auf ähnlich gelagerter Tour unterwegs. Und nachdem VNV Nation, Blutengel, ja selbst Welle: Erdball entsprechend sinfonische Umsetzungen einiger ihrer Songs dem Musikmarkt zugänglich machten, war es eigentlich nur eine Frage der Zeit, bis auch die Tagebuchträumer rund um Adrian Hates entsprechend nachlegen würden. Und nur, weil eine Ankündigung vielleicht nicht gänzlich überraschend kommt, mindert das nicht ihren Willkommenheitswert. „Under a timeless spell“ heißt das Album, das Diary of Dreams mit der Leipziger Philharmonie eingespielt haben, ein dunkelbunter Streifzug durch das bisherige Schaffen der Band. Das Musikjahr 2024 hat schon ein paar wirklich tolle und beeindruckende Alben hervorgebracht. Wenn ich an dieser Stelle ein bisschen spoilern darf: hiermit steht der nächste Bewerber um eine Platzierung in der Liste der besten Alben des Jahres 2024 in den Startlöchern. Überwältigend wird das Wort sein, nach dem Ihr nach dem ersten Hörgenuss suchen werden, davon gehe ich aus.

Das beste Beispiel, wie kontrastreich sich die klassisch-orchestrale Neuinterpretation diverser Einträge des Traumtagebuchs präsentieren können, kommt direkt zum Einstieg. „Malus“, ursprünglich auf dem 2014-er Album „Elegies in Darkness“ zu finden, ist in der bisher bekannten Fassung eine Wucht von einem Lied. Eine musikalische Naturgewalt, wütend, laut, brachial und mit ausreichend Schmackes versehen, um sich – entsprechende Anlage vorausgesetzt – davon einen neuen Scheitel föhnen zu lassen! Und die „Under a timeless spell”-Variante? Nicht weniger dramatisch, aber dennoch ein ganz, ganz anderer Schnack. Viel fragiler, aber das bringt klassische Instrumentierung wohl von Haus aus schon mit, und sooo viel mehr von Seelenschmerz durchzogen. Die Wut ist der Trauer gewichen. Ergreifend. Das scheint mir der angemessene Begriff zu sein, um die Wirkung dieses Songs zu umschreiben.

Anderes Beispiel: Was erhält man, wenn man bei dem ohnehin schon epischen und maximal bewegenden „She and her Darkness“ („Freak Perfume“, 2002) die elektronischen Bestandteile weglässt? Die Effekte auf der Stimme? Das Tempo reduziert, dafür das Klavierspiel um dieses oder jenes Streichinstrument erweitert? Die Antwort ist einfach: Tränen. Wer einen musikalischen Brandbeschleuniger sucht, um sich mal so richtig schön allen Frust, allen Kummer von der Seele zu heulen, bekommt hier möglicherweise genau das Stück kathartischer Musik, nach der vielleicht schon länger gesucht wurde. Übrigens: Adrian Hates scheint sehr genau um die Bedeutung dieses Songs für Dreamers (so die Bezeichnung für Fans der Band, quasi analog zu Swifties bei Taylor Swift) zu wissen. Als man 2012 das Akustikalbum „The Anatomy Of Silence veröffentlichte, erfuhr dieser Song eine Umwandlung in ein spärlich instrumentiertes, dafür aber umso wirkungsvolleres Akustiklied. Von allen bisherigen Varianten ist diese neue, diese klassische meines Erachtens aber die schönste. Nicht zuletzt, weil Adrians gefühlvoller Gesang dem tragischen Inhalt so viel mehr Tiefe und Wirkung verleiht. Es fällt mir schwer, mir vorzustellen, dass es Menschen gibt, die sich davon nicht wenigstens ein bisschen berühren lassen.

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