Musikvorstellung: VNV Nation – Electric Sun
📸: Arne Beschorner

Musikvorstellung: VNV Nation – Electric Sun

Ich halte Ronan Harris schon lange für einen sensiblen Menschen und Musiker, der seine Umwelt – bzw. die Welt, in der wir leben – sehr genau beobachtet und, so wirkt es immer wieder auf mich, daran so manches Mal zu verzweifeln scheint. Daran, dass Menschen scheinbar nicht aus ihrer Haut kommen, gefangen in ihrer offenbar genetisch einprogrammierten Zwangshandlung, sich selbst zu richten.

Anders lässt sich das selbstzerstörerische Verhalten der Spezies Mensch kaum noch umschreiben. So wie Menschen, deren Leber schon schreit, wenn sie nur am Schnapsregal vorbeilaufen, sich aber trotzdem noch die Kante geben. Flüssiges Glück, olé! Oder Rauchende, die bereits Blut ins Taschentuch husten, sich aber dennoch schnell noch mal die letzte Zigarette drehen. Und noch eine. Bis es wirklich die letzte war und nur noch Palliativmedizin die verbleibende, knappe Zeit bis zum Weg ins Jenseits erträglicher macht.

Würde man das ohnmächtige Gefühl, das man als Zeuge oder warnende Person in solche Fällen erlebt, in Musik gießen wollen – es kämen wohl die Worte und Töne dabei heraus, die Ronan Harris ein ums andere Mal in ein VNV Nation-Album hat einfließen lassen. Diese Musik zu hören löst freilich keine Probleme, sie wird auch keine dritten Personen retten. Aber es mindert die Gefahr, aus Verzweiflung und Ohnmacht die Farbe von der Wand zu beißen.

Ein schönes Beispiel für Ronans Betrachtung der Welt ist wohl direkt das Titelstück und der Opener des Albums, „Electric Sun“, eine schwere, stampfende Nummer, die Assoziationen weckt an Menschen, die sich mit schwerem Gepäck einen Berg hinauf mühen, immer der Sonne entgegen. Nur um dort festzustellen, dass am Gipfel nichts mehr wartet. Ein Sinnbild für die Menschheit, die sich durch die Entwicklung rasant lernender KI selbst zum Schöpfer aufschwingt. Wie das alles ausgehen wird, darüber können wir lange und breit philosophieren.

Ich bilde mir ein, Klangelemente zu hören, wie sie auch schon bei „Requiem For Wires“ (vom Album „Noire“) oder „Teleconnect Pt. 2“ (von „Transnational“) zum Einsatz kamen und die Dringlichkeit dieses Lieds untermauern – und gleichzeitig auch Kreise schließen zu den Vorgängern. „Laments for what is gone / Running backwards, crying "forward" / Like a battle can be won“, heißt es hier und plötzlich kommt es mir vor, als erzählte Ronan gewissermaßen eine Vorgeschichte eines Songs, der auf einem früheren Album stattgefunden hat. In diesem Fall besagtes „Requiem For Wires“, das damals tönte wie die Musik einer Welt, in der die Lichter für die Menschen final ausgegangen sind. Dieses eher verschwommene Gefühl eines Prologs überkommt mich hier nicht zum letzten Mal auf diesem Album.

Dieser Artikel ist nur für zahlende Abonennten.

Jetzt registrieren und diesen Artikel lesen