Chicago: Bericht von der Musical-Premiere auf dem DomplatzOpenAir Magdeburg am 14. Juni 2019
📸: Andreas Lander

Chicago: Bericht von der Musical-Premiere auf dem DomplatzOpenAir Magdeburg am 14. Juni 2019

Eine kurze Bestandsaufnahme: Privatleute und Politiker*innen, die fortwährend von Fake News reden – oder mit diesen um sich schmeißen. Lügen, bis sich die Haut orange verfärbt. Filterblasen, die persönliche, meinungsbildende Komfortzone des 21. Jahrhunderts. Medien, die Nichtigkeiten zu riesigen Schlagzeilen und Tagesthemen aufbauschen. Wahrheit, die so lange gebogen wird, bis sie am besten passt – oder sie wird einfach erfunden. Sensationsgeilheit. Selbstdarstellertum. Influencer, Instagram, fünf Minuten des Ruhms und die Bereitschaft, dafür so ziemlich alles zu tun. Medienhysterie. Massenhysterie. Die Welt im Jahr 2019 unterscheidet sich gar nicht so sehr von der des Chicagos der 1920er-Jahre, wie sie im gleichnamigen Musical dargestellt wird. „b“ ist das Musical des diesjährigen DomplatzOpenAirs in Magdeburg, das am Abend des 14. Juni 2019 Premiere feierte.

Die Geschichte des Stücks „Chicago“ ist bereits annähernd 100 Jahre alt. Im Jahr 1924 schrieb Maurine Dallas Watkins, seinerzeit Reporterin bei der Chicago Tribune, über zwei Mordfälle, die damals die ganze Stadt in Atem hielten: der mutmaßliche Mord von Beulah Sheriff Annan („beauty of the cell block“) an ihrem Liebhaber Harry Kalstedt sowie der mutmaßliche Mord von Belva Gaertner („most stylish on Murderess Row“) an ihrem Liebhaber Walter Law. Beide Frauen wurden, obwohl die Indizien teilweise sehr deutlich gegen sie sprachen, von ausgefuchsten Verteidigern auf der Anklagebank vertreten und schlussendlich von jeweils rein männlichen Jurys freigesprochen. Die durch die Berichterstattung zumindest in Teilen beeinflusste öffentliche Meinung und die hohen Sympathien für die beiden Angeklagten wird durch Watkins Arbeit, die sich mehr den medienwirksamen Rahmenbedingungen widmete, vermutlich eine Rolle bei der Urteilsfindung gespielt haben.

So interessierte sich Watkins mehr dafür, dass es jeweils die Liebhaber waren, die ermordet wurden, dass man jeweils junge, attraktive Frauen verdächtigte und dass in beiden Fällen Alkohol und Jazz-Musik (seinerzeit noch eine recht junge Musikrichtung) involviert waren. Aus diesen Fällen machte Watkins später das Theaterstück „Chicago“; Beulah Sheriff Annan wurde zu Roxie Hart, Belva Gaertner zu Velma Kelly. 1975 adaptierten Bob Fosse und Fred Ebb das Stück als Musical. Gesangstexte lieferte Fred Ebb, die Musik dazu John Kander.

Randnotiz: Das neben „Chicago“ bekannteste Musical von Ebb und Kander, „Cabaret“, wurde in Magdeburg vor wenigen Jahren in äußerst beeindruckender Weise aufgeführt. „Chicago“ aber ist in seiner Revival-Produktion von 1996 mit mehr als 9tausend Aufführungen eines der meist aufgeführten Broadway-Produktionen überhaupt.

Sandy Mölling. | Foto: Andreas Lander

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