📸: Panini Comics

Hugo Award-Gewinner „Cyperpunk 2077 – Big City Dreams“: Die manchmaltödliche Jagd nach großen und kleinen Träumen

Mit dem Videospiel „Cyberpunk 2077“ hat das polnische Entwicklungsstudio CD Projekt Red eine Welt geschaffen, die scheinbar unendlich viele Möglichkeiten für tolle Geschichten bietet. Natürlich weiß ich, dass „Cyberpunk 2077“ an das Pen & Paper-Rollenspiel „Cyberpunk 2020“ angelehnt ist und dieses schon sehr viel länger die Fantasie der Menschen beflügelt. Vielleicht sogar noch mehr, weil bis zum Erscheinen des Spiels die Welt, in der sich die Geschichten abspielten, nur in den Köpfen von Spielleitenden und Rollenspielenden darstellte. Und da konnten alle am gleichen Tisch sitzen – die Worte der Person, die das Spiel leitete, sorgte dennoch für ganz individuelle Bilder im Kopfe derer, die mit Bleistift und Papier bewaffnet die nächsten Züge auswürfelten.

Mit „Cyberpunk 2077“ ist das für alle einheitlicher, greifbarer geworden. Und auch wenn das Spiel schon im Dezember 2020 erschienen ist –  nach wie vor unternehme ich immer wieder gerne Streifzüge durch Night City. CD Projekt Red hat bei mir einen Nerv getroffen. Ich kann mich in der Welt verlieren und bin schon zufrieden, wenn ich da einfach nur spazieren gehe und die tolle Architektur in mich aufsauge. Inwiefern sich dort Geschichten in meinem Kopf entwickeln, lässt sich in meiner Review des Spiels nachlesen.

Lange Rede, kurzer Sinn – die Geschichten von Night City sind noch lange nicht erzählt. Und somit ist es umso erfreulicher, dass in schöner Regelmäßigkeit Comics erscheinen, die dem unfassbar vielfältigen Mosaik aus (möglichen) Geschichten neue Steinchen hinzufügen. Noch schöner ist, dass sie bisher durch die Bank von enorm hoher Qualität gewesen sind. Auch der neueste Beitrag, „Cyberpunk 2077: Big City Dreams“, macht da keine Ausnahme.

Erneut aus der Feder des hochgradig talentierten und kreativen Bartosz Sztybor, konnte dieser Comic sogar den renommierten Hugo Award in der Kategorie „Best Graphic Story or Comic“ einsacken! „Cyberpunk 2077: Big City Dreams“ behauptete sich damit unter anderem gegen die Comic-Umsetzung von „Dune“ oder Tom Kings „Supergirl“.

Wie schon in den vorherigen Comics zu „Cyberpunk 2077“ setzt auch dieser einfach irgendwann, irgendwo in dem Mega-Moloch Night City an. Bisschen, wie wenn man auf einer Karten-App auf dem Smartphone irgendeinen Bereich mit Daumen und Zeigefinger auseinanderzieht, heranzoomt und beschließt, so, hier spielt nun die Handlung. Wollen doch mal sehen, wer da gerade unterwegs ist und was die Leute so für einen Hintergrund haben …

Ich vermute, dass Sztybor schon ein bisschen mehr Aufwand betreibt, um seine Geschichten zu finden. Aber unterm Strich geht es auch in diesem Band wieder um zwei Menschen, die in Night City auf die ein oder andere Weise ihr Glück zu finden versuchen. Die eine ist süchtig nach den harten BrainDances und möchte im Prinzip nicht weniger, als eine berühmte Gangsterin zu werden. Vielleicht ist es ihr Anspruch, sich einen Platz in der berüchtigten Kneipe Afterlife zu sichern? Wer weiß schon, was Menschen dazu antreibt, Grenzen zu überschreiten.

Der andere hingegen ist ein Softie. Ein Träumer, eine sensible Person, die eher zufällig in die ganze Scheiße, die irgendwann tödlich werden kann und wird, hineingeraten zu sein scheint. Seinen Seelenfrieden findet er in BDs, die ihm ein Heile-Welt-Leben vorgaukeln. Eine Farm, weit draußen vor den Toren der Stadt, Frau, Kind, Familie, Friede, Freude, Eierkuchen. Damit ist der Mann glücklich und es gäbe nichts dagegen zu sagen. Nur würden wir uns hier nicht über eine Story aus Night City unterhalten, wenn Dinge immer so kuschelig blieben. Denn wenn sich eines über Night City und die Menschen darin sagen lässt, dann: Kein Wunsch geht je wirklich in Erfüllung, denn niemand ist je damit zufrieden, was da ist …

Hach! Was für ein großer Wurf schon wieder! Ich komme nicht umhin zu schreiben, dass die „Cyberpunk 2077“-Comics jedes Mal wirklich großartige Geschichten erzählen. Ich würde sogar so weit gehen, dass sie zu den besten gehören, die man derzeit lesen kann. Richtich juter Stoff! Die Geschichte um die beiden gegensätzlichen Glücksjäger, die ganz unterschiedliche Vorstellungen davon haben, wie Dinge sein müssten, ist tempo- und actionreich und gleichzeitig auch sehr berührend.

In einer Welt, die geprägt ist vom „höher, schneller, weiter“, wie es auch in der realen Welt heutzutage weitverbreitet ist, sich eine Entschleunigung zu wünschen, ein paar einfache, handfeste Dinge ohne großes Trara – das ist nicht nur nachvollziehbar, sondern auch zutiefst menschlich. Dass Night City den Menschen darin kein Happy End zu gönnen scheint, ist indes ein anderes Thema. Dramen eignen sich einfach besser für gute Geschichten, schätze ich.

Die Zeichnungen von Alessio Fioriniello („Paris Fashion Slam“) und Filipe Andrade („The Many Deaths of Laila Starr“) sind wie üblich nicht notwendigerweise schön. Sie wirken oft sehr skizzenhaft, zudem ist die Farbgebung erneut wieder nur rudimentär und flächig. Dennoch hat sich dieses Stilmittel schon in den vergangenen Bänden als äußerst effektives Transportmittel für die Story erwiesen. Und so ist es auch dieses Mal.

Cyberpunk 2077: Big City Dreams“ ist das nächste Highlight in einer ganzen Reihe von Hochkarätern. Ich habe keine Ahnung, ob die Serie auf eine bestimmte Anzahl Ausgaben ausgelegt ist. Ich hoffe nur inständig, dass Bartosz Sztybor noch ganz viele Geschichten aus Night City erzählt. Ganz viel Liebe für dieses Buch und diese Reihe, falls ich das bisher nicht gesagt haben sollte.


Erscheinungsdatum
19. März 2024
Verlag
Panini
Autor*in
Bartosz Sztybor
Zeichner*in
Roberto Ricci
Seiten
64
Storys
Cyberpunk 2077
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