Lange, laaange bevor ich mich in diesem Internetz mit Musik beschäftigt habe, war eines der Themen, die mich umtrieben, US-amerikanische Comics. Nicht notwendigerweise die bunten Heftchen, die DC oder Marvel auf den Markt bringen, aber auch die gehörten dazu. Eines der Highlights damals (die es meines Wissens auch heute noch gibt; inzwischen bin ich nicht mehr so drin in der Materie) waren die sogenannten Crossovers. Es handelt(e) sich dabei um vergleichsweise kurze, meist vom jeweiligen Kanon losgelöste Handlungsbögen, gerne mal auf nur ein einziges Heft beschränkt, in welchen Figuren unterschiedlicher Verlage aufeinandertreffen. In Zeiten eines Marvel Cinematic Universe ist es zumindest nichts Besonderes mehr, dass ein Charakter eines Verlagshauses in einer Story eines anderen auftaucht. Ein gemischtes Doppel aus beispielsweise Batman und Aliens, Batman und Jackie Estacado (The Darkness) oder, ganz aktuell, Batman und John Constantine (Batman: Damned), ist nach wie vor etwas, auf das sich Fans stets gefreut haben, vermutlich auch heute noch freuen. Nicht etwa, weil preisverdächtige Geschichten zu erwarten wären, sondern weil es einfach immer hübsch anzusehen war und ist, wie die Macher ganz unterschiedliche Charaktere in einem Produkt vereint haben.
An diese Crossovers musste ich kürzlich wieder denken, als Coma Alliance, nicht zuletzt massiver Social-Media-Arbeit wegen, (wieder) auf meinem Radar auftauchte. In gewisser Hinsicht ist dieses Joint Venture von Adrian Hates (Diary of Dreams) und Torben Wendt (Diorama) auch so etwas wie ein Crossover zweier Superhelden. Wer von beiden nun Batman und wer Jackie Estacado ist, das können die beiden unter sich ausmachen. Ihr funkelnagelneues Debütalbum „Weapon of Choice“ jedoch ist ein wahrlich besonderer, musikalischer Trip in die Dunkelheit.
Ähnlich wie bei Comicleser*innen, die ihre Helden und Favoriten haben, verfügen auch Diary of Dreams und Diorama über eine solide und sehr treue Fanbase, die über die Jahre gewachsen ist und über Schnittmengen verfügt. Das überrascht nicht wirklich. Diary of Dreams haben vor rund einem Jahr mit „Hell in Eden“ erst wieder ein bärenstarkes Album veröffentlicht, das an die besten Momente der inzwischen bald 30-jährigen Bandgeschichte anknüpft, Dioramas letzter Geniestreich „Zero Soldier Army“ hingegen datiert auf das Jahr 2016 zurück, hatte aber nicht weniger positiven Eindruck hinterlassen. Zwar ist Torben Wendt immer wieder mal als Gast bei Diary of Dreams unterwegs gewesen, zudem orientierte sich Diorama musikalisch zumindest in den Anfangstagen noch am Tun von Diary of Dreams, mit dem Fortschreiten der Jahre jedoch entwickelten sich beide Projekte in gleichzeitig ähnliche und doch ganz unterschiedliche Richtungen. Jetzt, mit dem Vorliegen von „Weapon of Choice“, ist es beinahe so, als seien diese Bands die beiden Seiten der gleichen Medaille.
Diary of Dreams war zuletzt immer mächtiger, immer epischer, was den Sound anbelangte, Diorama hingegen schien die Hörer*innen immer mehr mit zunächst schwer zugänglichen Stücken herausfordern zu wollen. Dass sich beide Künstler, Torben Wendt und Adrian Hates, für ein derartiges Crossover wie Coma Alliance zusammenfinden würden, ist, rückblickend betrachtet, nur eine Frage der Zeit gewesen – und schlicht folgerichtig.
Eine gemeinsame Tour als Vorbote der Dinge, die da kommen sollten
Die gemeinsame Tour unter der Coma-Alliance-Flagge anno 2016 war ein erstes Vorfühlen, um zu schauen, ob die Fans beider Lager (und darüber hinaus) auf diese Zusammenarbeit anspringen würden. Sie sprangen.
In den folgenden Wochen und Monaten nach jener ersten Tour arbeiteten die Musiker an einem Album, das unverkennbar die Handschriften beider Protagonisten trägt – und auf diese Weise etwas überraschend Neues erschafft. Durchaus eine Meisterleistung in einer Szene, wo zumindest ich das Gefühl immer öfter nicht leugnen kann, alles irgendwie schon mal gehört zu haben.
Das Beste beider Welten …
In einem Satz zusammengefasst ließe sich sagen: Nehmt alles, was Ihr an beiden Bands mögt, streicht alles raus, was Euch gegebenenfalls auf den Zeiger geht (unnötiges, weil unpassendes Gitarrengeschrammel beispielsweise), tut alles in einen Topf, fügt als geschmacksverstärkende Zutaten unter anderem etwas Minimal Electro oder analoge Synthies im Stile eines Vangelis oder Jean-Michel Jarre hinzu, rührt alles kräftig durch und lässt es dann mit ordentlich Feuer zu einer schmackhaften Düster-Electro-Suppe aufkochen. Fertig.
Den Auftakt macht „Unusual“, ein mächtiges, als Intro dienendes, finster grollendes Monster, das unheilschwanger den Raum füllt. In gewisser Weise bekommen wir hier einen ersten Ausblick auf die nachfolgende Stunde. Wenn es auch bei den folgenden 11 Tracks nicht mehr sooo düster wird – die gleiche Detailverliebtheit in den Arrangements, dieselbe dynamische und druckvolle Produktion, ähnlich gleichwohl warme Synthies und kalte Melodiebögen begleiten uns über die komplette Spieldauer des Albums. „Weapon of Choice“, soviel wird schon beim Auftakt klar, ist ein Album, das man entweder über eine sehr gute Anlage oder über hochwertige Kopfhörer goutiert. Dann nämlich offenbart sich die komplette, finstere Schönheit dieses Albums und kann zu spontanem, begeisterungsbedingtem Händeklatschen führen.
Schon beim nachfolgenden Stück „Sepia“ legen die Herren Hates und Wendt ein Zeugnis davon ab, wie die beiden Klangwelten miteinander verschmelzen. Torben singt mit dunkler Stimme, die weiten Synthie-Flächen jedoch verortet man in dieser Form eher in den Songs von Adrian, der hier die Backing Vocals liefert. Oder nehmen wir noch „Starfruit“ als Beispiel, das zunächst mit der von Diorama zuletzt gewohnten Sperrigkeit flirtet, sich dann aber völlig überraschend in eine ziemlich eingängige Nummer verwandelt. My wheels are spinning / I can feel no traction, singt Torben hier. Das Gefühl, wie ein Brummkreisel zu rotieren und doch nicht von der Stelle zu kommen, ganz gleich, ob im Moment, im Job oder dem Leben allgemein, kennen wir sicher alle. Wie üblich überlassen es die Herren Wendt und Hates Euch und Eurer Interpretation, die für Euch passende Wahrheit in den Texten zu finden. Im Zusammenspiel mit den einnehmenden Melodiebögen wird dieses Album aber für alle interessierten Hörenden die Waffe der Wahl sein, wenn es darum geht, die Welt da draußen für eine Stunde auszupusten.
… ergibt den neuen Goldstandard im düsteren Electro-Wave-Bereich
Um noch einmal auf die Crossovers bei Comics zurückzukommen: oft genug sind diese Aufeinandertreffen unterschiedlicher Charaktere ein gutes Mittel, ein paar Taler zusätzlich zu verdienen. Hey, sind das da tatsächlich gerade Captain America und Superman auf dem Cover? Shut up and take my money! Da es sich, wie eingangs erwähnt, oftmals nur um One-Shots handelt, sind diese für gewöhnlich nicht sonderlich gehaltvoll, sondern im besten Falle eher als Fan-Service zu verstehen. Ein Aufeinandertreffen von Adrian Hates und Torben Wendt, von Diary of Dreams und Diorama, das über gemeinsames Touren und gelegentliche Live-Auftritte beispielsweise als Keyboarder in der Band des jeweils anderen hinausgeht, das werden sich gewiss einige Fans auf den Wunschzettel geschrieben haben. Was auch immer man sich von „Weapon of Choice“ versprochen haben mag – ich bin sicher, etliche Erwartungen sind hiermit übertroffen worden. Im Vergleich zu so manchem Comic-Cross-over passt hier einfach alles. Zwei unterschiedliche Charaktere auf einer gemeinsamen musikalischen Reise, die sich jeweils ihre Eigenständigkeit bewahren – und hervorragend ergänzen. Coma Alliance, die Medaille, deren beiden Seiten Diary of Dreams und Diorama heißen. Chapeau!
Dieses erste gemeinsame Album von Adrian Hates und Torben Wendt war im Vorfeld mit großer Spannung erwartet worden. Frühe Reviews und Hörer*innenmeinungen überschlugen sich förmlich mit Lobhudelei. Und was soll ich Euch jetzt abschließend noch sagen? Es ist alles wahr. Großes hatte man sich erhofft von diesem Joint Venture, eine Sensation wurde geliefert! Coma Alliance ist das Beste beider Welten und doch so viel mehr als die Summe seiner Bestandteile. Es bietet einen enorm hohen Unterhaltungswert und ein durchgängig hohes Spannungslevel. Es sind genau null Songs, die das Skippen erforderlich machen würden, dafür aber 12 Volltreffer, bis oben hin angefüllt mit berauschender Detailverliebtheit, verpackt in eine ohrschmeichelnde Produktion. Abschließend: Es ist nicht weniger als ein neuer Goldstandard im düster-alternativen Elektro-Wave-Bereich. Auch für Diary of Dreams und Diorama. Wohin die Reise von Coma Alliance geht, wird sich zeigen. Hoffentlich weiter als etwa die von .com/Kill. In jedem Fall aber ist diese (erste?) Etappe ein Meilenstein für Fans der beteiligten Musiker und für alle, die sich für außergewöhnlich hochwertige, elektronisch gefärbte Düstermucke begeistern können. Wie heißt es doch so schön in „Coma Supreme“: The birth of a dream.