📸: Panini Comics

Der Ursprung des Zaubererdoktors: „Marvel Must-Have: Doctor Strange – Anfang und Ende“ beleuchtet die Anfänge des mächtigen Marvel-Helden

Wie aus dem arroganten und selbstsüchtigen Chirurgen Dr. Stephen Strange ein mächtiger Zauberer, ja möglicherweise sogar eine der mächtigsten Figuren des Marvel-Universums wurde, das hat der Blockbuster aus dem Marvel Cinematic Universe aus dem Jahr 2016 grundsätzlich ziemlich hinreichend beleuchtet. Benedict Cumberbatch brillierte dort in der Rolle des zaubernden Doktors. Im Gespräch für die Rolle waren aber auch Tom Hardy und Jared Leto, später auch noch Ethan Hawke, Oscar Isaac, Ewan McGregor, Matthew McConaughey, Jake Gyllenhaal, Colin Farrell und Keanu Reeves. Aber mal ehrlich: könntet Ihr Euch auch nur einen dieser – zweifellos teilweise ebenfalls ganz großartigen – Darsteller als Stephen Strange vorstellen? Ich nicht. Meines Erachtens passen Cumberbatch und Strange zusammen wie der sprichwörtliche Arsch auf Eimer. So. Nachdem wir das nun also geklärt hätten (und ich 50 Cent in die Kaffeekasse für die Verwendung unflätiger Begriffe entrichtet habe), komme ich zum eigentlichen Anliegen. Zu „Doctor Strange – Anfang und Ende“ nämlich, einer Neuauflage für PaninisMarvel Must-Have“-Reihe. Und „must have“ kommt schon ganz gut hin.

Panini veröffentlichte „Doctor Strange – Anfang und Ende“ schon einmal 2016, ich nehme an, dies geschah im Rahmen des Filmstarts von „Dr. Strange“. Und selbst damals war der Stoff nicht neu, bereits in den Jahren 2004/2005 taten sich J. Michael Straczynski und SaraSammBarnes zusammen und schufen im Rahmen der „Marvel Knights“-Reihe eine neue Origin-Geschichte. Was auch immer Autor*innen für Ideen hatten, im Rahmen der „Marvel Knights“ ließ sich vieles umsetzen, was nicht zwingend zum sogenannten Canon gehört, gehören musste oder später mal gehören sollte. Im Falle der Ursprungsgeschichte von Dr. Strange und dem, was daraus später für das MCU wiederverwendet wurde, darf man zumindest darüber spekulieren, dass das spektakuläre Werk von Straczynski und Barnes, gekonnt zeichnerisch umgesetzt Brandon Peterson, deutliche Spuren im Canon hinterlassen hat.

Letztlich ist die Geschichte, die hier erzählt wird, spätestens nach dem Kinofilm sooo neu und überraschend nicht. Wir werden Zeuge davon, wie Stephen Strange – eine Person, die ich im echten Leben vermutlich als „Fatzke“ beschreiben würde – durch einen Unfall, der seine goldenen Chirurgenhände sehr in Mitleidenschaft zieht, sein bisheriges Leben verliert. Karriere, Geld, Ruhm und Ehre – alles von jetzt auf gleich dahin. Auf der Suche nach Personen, die ihm vielleicht helfen können, die Nerven in seinen Händen wieder richtig zu verdrahten und in sein altes Leben zurückzukehren, versucht Strange so ziemlich alles. Letztlich führt ihn sein Weg nach Tibet, wo er lernt, dass eigentlich eine ganz andere Bestimmung auf ihn wartet, als nur ein schnöseliger Arzt zu sein. Und dass es noch ganz andere Dämonen zu bekämpfen gilt, als nur die eigenen.

Wie gesagt, die Story ist spätestens seit dem Film soweit bekannt und daher naturgemäß arm an Überraschungen. Das ändert aber nüscht an der Tatsache, dass sie spannend und fesselnd erzählt wird. 164 Seiten umfasst die Hardcover-Neuauflage des Comics und ich habe das Büchlein einfach nicht aus der Hand legen können. Barnes und Straczynski haben ein – Obacht jetzt – goldenes Händchen dafür, ihren Hauptcharakter eine Entwicklung durchleben zu lassen und alles so zu erzählen, dass es auch dann noch spannend und unterhaltsam wäre, wenn die durchaus schönen Zeichnungen von Herrn Peterson nicht wären, sondern sie die Story als Roman verkaufen würden. Andererseits: gerade von einem J. Michael Straczynski darf man so was aber auch erwarten. Die meisten Lorbeeren wird er wohl für die Sci-Fi-Serie „Babylon 5“ einkassiert haben, aber auch als Autor von Comicserien hat sich der Mann seine Sporen mehr als verdient. Ein bisschen nostalgisch denke ich an „Midnight Nation“ zurück oder an „Rising Stars“. Ich bin mir beinahe sicher: hätte damals Straczynski nicht jenes Superhelden-Epos geschaffen, das aufzeigte, dass phänomenale Kräfte nicht zwingend das Gute in einem Menschen freisetzen, Garth Ennis hätte möglicherweise „The Boys“ nie geschrieben und Amazon Prime hätte daraus keine absurd brutale Serie machen können. Aber das ist reiner Spekulatius meinerseits.

Zurück zu „Doctor Strange – Anfang und Ende“: Brandon Petersons Zeichnungen sind gleichermaßen angenehm detailliert, realistisch und unaufgeregt. Das zeigt sich auch in der Aufteilung der Panels, die über weite Strecken quadratisch oder rechteckig ausgefallen sind und sich den Platz auf den Seiten wie Tetris-Steinchen teilen. Und dann, wenn er sich es doch einmal gestattet, aus dem üblichen Muster auszubrechen und ein Bild über eine ganze Seite verteilt, dann ist es beinahe so, wie die besonders action- oder spannungsgeladenen Sequenzen in einem Film. Was mir auf den ersten Seiten beinahe öde vorkam, entpuppte sich während des Lesevergnügens als ein sehr geschicktes Spiel mit dem Tempo, das sich nicht sofort offenbart. Vergleich dazu: „Flash: Der schnellste Mensch der Welt“ ist mit sehr an Manga erinnernden Stilmitteln umgesetzt worden und pustet die Leser*innen damit quasi förmlich vom Sofa. Und zwar durchgängig. Bei diesem Comic passiert das immer nur punktuell, ist damit aber nicht weniger effektiv.

Mir hat diese Origin-Story außerordentlich gut gefallen. Die Charaktere sind fein gezeichnet, sowohl mit Worten als auch mit Stiften, die Handlung geht weit über plumpes Dämonengekloppe hinaus und ist eher eine klassische „des Widerspenstigen Zähmung“-Erzählung, mit mikroskopischem Blick auf die Dinge, die vorheriges Arschlochsein an Konsequenzen mit sich bringt. Also in der Tat ein „Must Have“. Für Fans von Stephen Strange, für Sammler*innen, für alle, die das damals verpasst haben – und vor allem und ganz besonders für alle, die gerne gute Geschichten in Comicform lesen. Definitiv eine Empfehlung!


Erscheinungsdatum
25. Juli 2023
Verlag
Panini
Autor*in
J. Michael Straczynski, Samm Barnes
Zeichner*in
Brandon Peterson
Seiten
168
Storys
Strange (2004) 1–6
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