📸: Panini Comics

Sex-Orgien, auf die Caligula neidisch wäre und unfassbar grausame Gewalt: Auch die dritte Ausgabe von „The Boys“ (Pocket Edition) macht keine halben Sachen

Um es vorsichtig und mit einem Höchstmaß an Untertreibung zu formulieren: Der zweite Band der Pocket Edition von „The Boys“ war sehr derbe. Letztlich nicht anders zu erwarten, sicherlich, dennoch staune ich immer wieder, was in einem Mainstream-Comic so gezeigt werden darf, ohne dass das Ding unter der Ladentheke gehandelt werden müsste. Wobei … vielleicht dürfen Garth Ennis und Darick Robertson das gar nicht und machen es einfach trotzdem. So wie sich die Supes und die Boys rund um Butcher an nichts halten, was irgendwie moralisch wäre, so machen es deren Schöpfer auch nicht. Die Frage, ob und inwiefern die dritte Ausgabe der Pocket Edition, um die es mir nun geht, in ähnlich abgründigen Gefilden unterwegs ist, ist daher mehr rhetorischer Natur. Natürlich ist sie das. Und natürlich bietet sie darüber hinaus auch wieder viel mehr als die pure Lust an der Provokation.

Merke: Wenn Superheld*innen, speziell jene, die von Vault American auf die Welt losgelassen wurden, behaupten, sie müssten sich einer intergalaktischen Bedrohung stellen und sind fortan eine Weile nicht mehr gesehen, dann ist Skepsis angebracht. Im Falle von Homelander & Co. bricht die verdorbene Brut stattdessen auf zu einer tropischen Insel, um dort das Herogasm zu feiern. Und es ist genau das, was der Name vermuten lässt: eine über Tage anhaltende Orgie aus Sex, Alkohol und Konsum von Drogen teils mehr als fragwürdiger Herkunft. Im Prinzip wird alles bestiegen, was nicht bei drei auf den Bäumen ist – und manchmal wird einfach der Baum gleich noch mit gebumst. Inmitten dieses Treibens, das sich selbst Caligula nicht hätte ausdenken können, entwickelt Homelander immer weitere Allmachtsfantasien. Logisch, dass es nicht nur dabei bleibt, sich vorzustellen, was er mit seiner nahezu grenzenlosen Macht anstellen könnte – sondern er handelt entsprechend und lässt einfach ein voll besetztes Passagierflugzeug abstürzen und alle Insassen sterben. Das wird mittelfristig Konsequenzen haben, keine Frage.

Die Boys um Butcher haben derweil einen Vorzeige-Nazi und Supe in Personalunion nebst Gefolge an der Backe. Das führt zu einigen sehr unappetitlichen Prügeleien, bei denen neben Augen und Nasen auch primäre Geschlechtsmerkmale männlich gelesener Bevölkerungsteilnehmer dran glauben müssen. Und zwischen alledem erfährt unser zunehmend mit seinem Job hadernder Boy Hughie mehr über einige Leute aus seiner Gang.

Und wieder wäre es so einfach, über die Stöckchen zu stolpern, die Garth Ennis hier hinhält. Sich über die rund 330 Seiten umfassenden Schweinereien, von der ausufernden Sexorgie bis zur grenzenlosen Gewalt zu echauffieren, es wäre ein leichtes. Bisschen so, wie sich über Bret Easton Ellis’ Gewaltexzesse in „American Psycho“ zu echauffieren. Bringt nur nix. Sowohl das Buch als auch der Comic halten vor allem, aber nicht nur der amerikanischen Gesellschaft einen Spiegel vor die Nase. Zwischen all den Exzessen sind es vorrangig wieder einmal die geschliffenen, pointierten Dialoge und das große Maß an Charakterentwicklung, die Ennis seinen Schöpfungen hier zugedacht hat, die Eindruck schinden. Nicht, dass es dafür ein Beispiel benötigt hätte, aber: hier wird sehr deutlich gezeigt, wie Menschen, die mit nahezu grenzenloser Macht ausgestattet sind, sich zunehmend amoralischer und psychopathischer verhalten. Da ist schon ordentlich Druck auf dem Kessel, auch bei den vermeintlich Guten und bis es richtig explodiert, kann es wohl nicht mehr allzu lange dauern, schätze ich.


Erscheinungsdatum
17. September 2024
Verlag
Panini
Autor*in
Garth Ennis
Zeichner*in
Darick Robertson
Seiten
336
Storys
The Boys: Herogasm 1-6, The Boys 31-38, CBLDF’S Liberty Annual (2010) 1
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