In meiner ersten großen Comic-Phase, gefühlt kurz nach dem Paläolithikum, war Todd McFarlanes Anti-Held Spawn einer meiner Favoriten. Jedes Heft wurde gekauft, sowohl im englischen Original als auch später die Übersetzungen des längst nicht mehr existierenden Infinity Verlages. Auch alle Variant-Cover, alle Sonderausgaben, alle Ableger. Den ehemaligen Söldner Al Simmons, der über den Haufen geballert wurde und als Soldat der Hölle, eben als Hell Spawn, wieder zurück auf die Erde kam und in einen wahrhaft apokalyptischen Machtkampf zwischen Himmel und Hölle geriet, auf seinen Abenteuern zu begleiten, war ein großes Vergnügen. Es war ein wenig wie bei „The X-Files“, die mit ihrem Verschwörungsgemache letztlich auch nie final zu Potte kamen. Immer dann, wenn man dachte, Al Simmons / Spawn wäre des Rätsels Lösung ein Stückchen näher, wurde dem überirdischen Drama noch was obendrauf gesetzt.
Und was es damals für großartig geschriebene Figuren gab! Neben Al Simmons hinterließen der Clown bzw. der Violator großen Eindruck, genauso wie die Cops Sam & Twitch, der durchtriebene Geheimdienstboss Jason Wynn, der pädophile Kindermörder Billy Kincaid, der Redeemer, die Höllenfürsten Cogliostro und Malebolgia und so weiter und so fort. „Spawn“ war und ist nicht nur am oberen Ende die fantastischen Bilder betreffend, sondern glänzte auch mit wirklich tollen Figuren. Dass die Bude nie zu einem Abschluss kam – geschenkt. Zumal, wer würde es Todd McFarlane wirklich verdenken, seinen Goldesel so lange zu reiten, wie der noch Geld abwirft? Eben. Inzwischen sind über 300 Hefte der Hauptserie erschienen und die Serie läuft seit 1992. Zudem gibt es mit „Scorched“, „Gunslinger Spawn“ und „King Spawn“ wieder einige neue(re) Ablegerserien, die regelmäßig erscheinen. Und den jüngst erschienenen 4. Band von „King Spawn“, mit dem Untertitel „Exodus“, den habe ich mir gerade zu Gemüte geführt. Mit einem Höchstmaß an Genuss, wenn ich das schon mal vorab in den Raum stellen darf.
Sam, Twitch und Spawn bekommen es in diesem Band mit der Exodus-Stiftung zu tun. Dem äußeren Anschein nach eine moderne Bio-Tech-Company. Alles fancy, alles shiny. Aber auch alles gut? Nun ja. Ziemlich schnell bemerkt das ungleiche Trio, dass diese Firma in Machenschaften verwickelt ist, die ziemlich grausam sind. Will sagen: Menschen, die sich bis eben noch bester Gesundheit und vor allem am Leben erfreuen, werden von Exodus von ihren Hirnen befreit. Dass das keiner überlegt, muss nicht extra erwähnt werden, oder?
Dabei machen sie keinen Unterschied zwischen Geschlechtern, Herkunft oder gesellschaftlicher Stellung. Eine ziemlich grausame und brutale Art, den Glauben zu erforschen. Denn das ist es, was sie mit ihren Morden letztlich bezwecken. Als Vorbereitung auf einen neuerlichen Kampf zwischen den Kräften des Himmels und der Hölle. Und während sie sich also mit dieser Bude anlegen, stell das Trio fest, dass es eine Verbindung zwischen Exodus und Cyan, der Tochter von Al Simmons’ verstorbener Ex-Frau Wanda, gibt. Das ruft natürlich ihren Vater Terry Fitzgerald auf den Plan – und wenn es gegen Ende zur großen Monsterkloppe kommt, kehrt auch einer von Spawns ältesten Erzfeinden zurück …
Hach, was für ein grausiges Vergnügen! Nicht nur, dass die Story rund um die Hirne klauende Firma Exodus ziemlich spannend und in gewohnter „Spawn”-Manier reichlich düster und makaber ist, nö, auch die detaillierten und teilweise sehr expliziten Bilder sind Seite für Seite kleine Kunstwerke! Schön ist zudem, dass man rund 20 Jahre lang nicht am Start gewesen sein kann, was das Thema „Spawn“ angeht – oder vielleicht sogar noch nie ein entsprechendes Heft gelesen hat – und trotzdem direkt abgeholt und hineingezogen wird in einen wilden, ziemlich düsteren und auch reichlich grausamen Horrortrip! Todd McFarlane, der diese Story zusammen mit Sean Lewis („Scorched“) geschrieben hat, kann es also einfach nach wie vor. Da macht es auch nichts, dass das Drama, das über allem schwebt, scheinbar immer wieder von vorn aufgezogen wird. Das Namedropping, das hier betrieben wird, die Rückkehr von bestimmten Figuren, die mitunter schon im allerersten Heft anno dazumal ihren Auftritt hatten, all das steigert für mich den wunderbaren Nostalgiefaktor. Und wird neuen Lesenden vielleicht, sofern die Rückkehr einiger Figuren nicht nur angeteasert wurde, dabei helfen, zu verstehen, warum „Spawn“ einfach schon so lange eine Erfolgsgeschichte ist. Lange Rede, kurzer Sinn: Liest sich gut, ist spannend, sieht fantastisch aus und kommt mit einem ziemlich erheblichen Horror- und Gewalt- bzw. Gore-Faktor um die Ecke. Ich glaube, ich lese das Ding direkt noch einmal!