Im Dezember des vergangenen Jahres beendete ich die Review zu „Alien: Tauwetter“ mit der Frage, ob dieser durchaus unterhaltsame Ausflug in die Welt der säureblütigen, sabbernden Monster schon alles war, was die pfiffig eingeleierte Story zu bieten haben würde. Schließlich ließ dieser Band die Leser*innen mit mehr Fragen als Antworten zurück. Was im Falle einer Erzählung im “Alien”-Universum grundsätzlich nicht überraschend ist und irgendwie ja auch dazugehört. Und doch: Das Drama um das Forschungsteam, das auf einem Eisplaneten zwar kein Trinkwasser, dafür aber ganz viele Xenomorphe gefunden hatte und mittendrin eine hochschwangere Frau, war trotz aller Dramatik noch nicht final zu Ende erzählt. Diesen Job übernimmt nun „Alien: Descendant”, der zweite und abschließende Teil aus der Feder von Declan Shalvey. Ist es ihm gelungen, den spannenden Auftakt zu einem befriedigenden Finale zu führen? Ja, durchaus.
„Alien: Descendant“ ist benannt nach dem Raumschiff der Weyland-Yutani Corporation, das auf dem Weg nach LV-695 ist. Jenem Eisplaneten des ersten Teils, bei dem die unglückselige Expedition nicht nur kein Trinkwasser, dafür aber ganz viele von den gefährlichen Xenomorphs gefunden hatte. So gut wie niemand hat das Gemetzel damals überlebt, auch die schwangere Frau und ihr ungeborenes Baby nicht. Nur Zasha konnte entkommen, so richtig weiß aber niemand, was aus der jungen Frau geworden ist. Die Descendant ist auf dem Weg zurück, weil sich an Bord ein Abkömmling des Yutani-Clans befindet und der ein dringendes Interesse daran hat, einen ganz bestimmten Besitz zurückzuerlangen. Was das sein könnte, darüber schweigt sich Mr. Yutani aus. „Alien”-Kenner*innen werden wahrscheinlich direkt vermuten, es könne sich nur um eine Probe außerirdischen Materials handeln. Die Vermutung wäre naheliegend. Ist aber falsch. Declan Shalvey hat seinen Antagonisten andere Motivation auf den Leib geschrieben als das, was man zunächst vermutet – und sammelt allein dadurch schon wieder Bonuspunkte. Es ist, denke ich, wenig überraschend, dass auch der zweite Ausflug nach LV-695 in einer Katastrophe endet. Nicht nur, weil sich die weißen Aliens aus dem ersten Teil weiterentwickelt haben. Spätestens seit dem durchwachsenen Versuch von Sir Ridley Scott, dem „Alien“-Mythos eine erklärende Vorgeschichte anzudichten, weiß man, dass das „Rohmaterial“ der Aliens entsprechend ihrem Wirtskörper reagiert und somit immer wieder anders aussieht. So auch hier. Zasha ist überdies weiterhin am Leben und, vermutlich ebenso wenig überraschend, Teil jener Expedition. Es kommt zu einem unverhofften Wiedersehen mit einem alten Bekannten – und zu einem Showdown, bei dem niemand gewinnt. Oder?
War ich nach dem ersten Teil noch skeptisch, ob und inwiefern Declan Shalvey die Story zu einem passablen Ende führt, bin ich nach der Lektüre von „Alien: Descendant“ rundum zufrieden. Es gefällt mir sehr gut, wie einige Handlungsstränge aus dem ersten Band hier aufgegriffen und miteinander verknüpft werden. Die (aus naheliegenden Gründen) wortlose Bonus- bzw. Vorgeschichte, die den evolutionären Kampf zweier überlegener Spezies auf dem Eisplaneten verdeutlicht, hätte ich nicht zwingend gebraucht, rundet aber in Summe die ganze Sache ab. Ich mag auch, dass ein „Alien“-Comic, ähnlich wie die filmische Vorlage, nicht zwingend mit einem Happy End für die handelnden Figuren daherkommen muss. Wobei … was ein Happy End ist, liegt sicher auch immer im Auge der betrachtenden Person. Und in diesem Falle ließe sich bestimmt darüber diskutieren.
Im zweiten Band bin ich auch direkt besser mit den latenten Manga-haften Zeichnungen klargekommen. Sie wirken immer noch einigermaßen flach, dafür aber dynamisch und bringen die von der Handlung erzeugten Bedrohung durch die Aliens aller Geschmacksrichtungen ziemlich gut rüber.
Es bleibt am Ende ein überwiegend positiver Eindruck. Zusammen mit „Alien: Tauwetter“ ist dies eine spannende, unterhaltsame Lektüre in der Welt von „Alien“. Möglich, dass ich mich auch in einigen Jahren noch daran erinnern werde. Einerseits, weil der Ausstoß an „Alien“-Storys ohnehin nicht so hoch ist, wie bei anderen Franchises. Und andererseits, weil Declan Shalvey ein paar erinnerungswürdige Charaktere nebst nicht minder erinnerungswürdigem Schicksal erschaffen hat. Und das, denke ich, ist ganz schön viel für einen Comic.