📸: Panini Comics

Als würden die Lämmer schweigen … „Joker/Harley: Psychogramm des Grauens“ erzählt eine der besten (und krassesten!) Geschichten jemals!

Puh, jetzt erst mal ‘ne Kippe!“, denke ich, nachdem ich den rund 300 Seiten starken Wälzer „Joker/Harley: Psychogramm des Grauens“ zu Ende gelesen habe. Ziemlich schnell stelle ich fest, dass ich seit Jahren nicht mehr rauche, aber wenn, wäre dieser nervenaufreibende Thriller sicher eine willkommene Ausrede, um sich mittels Glimmstängel die Nerven zu beruhigen. Was für ein gleichermaßen grausames wie grandioses Meisterwerk! Der nahende Kinostart von „Joker: Folie à Deux“ war für Panini Comics sicher Grund und Anlass, die unter dem DC Black Label veröffentlichte Miniserie in einem Sammelband im Sonderformat erneut auf den Markt zu bringen. Wer diese famose Geschichte bisher verpasst hat, bekommt nun also eine weitere Gelegenheit dazu. Ein Wort der Warnung möchte ich jedoch vorwegschicken: „Joker/Harley: Psychogramm des Grauens“ hält sich nicht mit halben Sachen auf – und ist daher ganz sicher nichts für zartbesaitete Personen!

Eine Eigenart von DCsBlack Label“ genannter Unterkategorie ist es, dass sich Kreative hier austoben können und bekannte Figuren in Geschichten packen, die völlig losgelöst von ihrem sonstigen Kontext oder Kanon existieren dürfen. Das können, ganz klassisch, neue Interpretationen bestimmter Origin Storys sein oder finstere Erzählungen, die den Kreativen im Kopf schlummerten und die zu Papier gebracht werden wollten. So traf beispielsweise in einer dieser Geschichten Batman auf Monsterjäger John Constantine. Eine andere Eigenschaft der „Black Label”-Geschichten ist es, dass sich deren Schöpfer*innen nicht nur keine Platte bezüglich Kontinuität machen brauchen, sondern auch nicht um Altersfreigaben. Das „Black Label”-Programm richtet sich klar an ein erwachsenes Publikum, dementsprechend derbe geht es mitunter auch zur Sache. So wie eben auch im vorliegenden Comic.

Entgegen der Vermutung, dass wir es hier einmal mehr mit einem lustigen Stelldichein des Clownprinzen des Verbrechens und seiner Clownprinzessin zu tun bekommen, hat sich Autorin Kami Garcia dazu entschieden, ein perfides Katz-und-Maus-Spiel zu erschaffen, das mehr mit Thrillern wie „Das Schweigen der Lämmer“ zu tun hat, als mit der Art und Weise, wie die Titelfiguren bisher meist dargestellt wurden.

Dr. Harley Quinn arbeitet als psychologische Beraterin für die Polizei von Gotham City. Vor fünf Jahren fand Quinn ihre Freundin und Mitbewohnerin tot in der Badewanne. Die Kehle aufgeschlitzt, den Mund zu einem grausam-grotesken Grinsen verzerrt unter Zuhilfenahme von Kleiderbügeln aus Draht. Quinns Freundin war nur eines der Opfer eines Serienmörders, der auf der Bildfläche von Gothams Unterwelt aufgetaucht war und der in den Folgejahren aufgrund seines Vorgehens (das nachträgliche, grausame Zaubern eines Lächelns in das Gesicht der Leichen) von den Medien den Namen „Joker“ bekommen hatte.

Doch wer ist dieser Mann, der seine Morde penibel plant, durchführt und keine Spuren hinterlässt, die zu seiner Ergreifung führen könnten? Im Verlaufe ihrer Ermittlungen, die den Joker viel dichter auf ihre Fersen geraten lässt, als andersherum oder gar, als es Quinn lieb sein kann, erkennt sie, dass sich der Joker als eine Art Künstler betrachtet. Die Opfer werden auf grausamste Weise zerstückelt und wieder zusammengesetzt, um etwa Kunstwerke von Salvador Dalí oder Leonardo da Vinci nachzubilden. Bis hin zu einer Ballerina, die während einer Vorführung von der Decke gelassen wird. Tot, natürlich, aber Arme und Beine abgetrennt und durch Holzgliedmaßen ersetzt. Harley Quinn und Jim Gordon rennt die Zeit davon, denn die zunehmende Frequenz der Morde und die immer größer werdende Sucht nach öffentlicher Aufmerksamkeit lassen die Vermutung aufkommen, dass der Joker im Begriff ist, sein furchtbares Meisterstück zu inszenieren …

📸: Auszug aus „Joker/Harley: Psychogramm des Grauens“. Erscheint beim Panini Verlag.

Halleluja! Das Ding ist so fies wie genial! Ich kann es der Autorin Kami Garcia gar nicht hoch genug anrechnen, dass sie für ihre Tour de Force auf die gängigen, klassischen Klischees, die man mit Joker und Harley Quinn vielleicht assoziiert, verzichtet! Nehmen wir nur mal den Clownprinzen des Verbrechens: Der Joker ist hier kein Unterweltboss, der sich permanent mit Batman die Nase verbeult, seltsame Streiche spielt und fortwährend lacht. Genau genommen lacht der Joker, der mich optisch an eine Mischung aus dem Joker aus „Suicide Squad“ und dem aktuellen „The Crow”-Remake erinnert, hier überhaupt nicht. Er spielt auch keine Streiche, ist nicht der King der Unterwelt und von Batman hat dieser Joker noch nie etwas gehört. Es ist viel mehr wie eine Art John Doe aus „Sieben“ oder Hannibal Lecter aus „Das Schweigen der Lämmer“: hochintelligent, amoralisch jenseits jeglicher Vorstellungskraft – und unfassbar grausam und bösartig.

Umgekehrt ist Harley Quinn nicht das überkandidelte Blondchen, das sich inzwischen zwar längst aus dem Schatten des Jokers emanzipiert hat, dem aber lange der Makel des überdrehten Dummchens, das sich nur zu gerne für den Joker in die Flugbahn von Batmans Faust geworfen hat, anhaftete. Hier wird sie als selbstbewusste Frau dargestellt, deren zunehmende Obsession für den Joker sie ziemlich bald in lebensbedrohliche Situationen bringen wird. Ich denke, das kann ich spoilerfrei so wiedergeben: Der Moment, in dem sie den Joker, eigentlich schon dingfest gemacht, aus der Untersuchungshaft entlässt, weil sie ihn töten und nicht verhaften will, ist ziemlich groß. Und vor allem großartig geschrieben.

Großartig ist auch die Inszenierung optischer Natur. Ich hätte mich beinahe dazu hinreißen lassen, dass „Joker/Harley: Psychogramm des Grauens“ optisch eine Augenweide ist – was ich, angesichts der nicht zu knapp dargestellten Eingeweide oder abgetrennten Körperteile, jedoch irgendwie für sehr makaber gehalten hätte. Dennoch: Mico Suayan, Mike Mayhew und alle anderen beteiligten Kreativen schaffen wahnsinnig gut aussehende Bilder, die ein ums andere Mal nicht mit Schock- und/oder Ekeleffekten geizen. Manchmal war ich mir nicht so sicher, ob ich wirklich umblättern möchte. Einerseits vor lauter Spannung, andererseits aus Sorge, was mich erwarten würde. Ich sage mal so: Schubladen, die in den Körper einer Frau eingenäht sind und die dann die Innereien beinhalten, sind schon schwer an meiner persönlichen Grenze dessen, was ich ertragen kann oder will. Auch, wenn ein Comic noch immer nicht so derbe schockt, wie es ein Film tun würde, das hier ist alles schon ziemlich explizit. Wer noch immer glaubte, Comics seien Kinderkram, wird spätestens hier eines Besseren belehrt.

Die gesammelten Grausamkeiten dienen dabei aber mitnichten der Provokation, so wie es beispielsweise bei „The Boys“ der Fall ist. Es ging der Autorin und ihren Zeichnenden eher darum, den Joker mit seiner Amoralität auf die in diesem Comic als Vergleich herangezogenen Mörder wie Ted Bundy auf eine Stufe zu stellen, denke ich. Eine gewisse Inkonsequenz gestattet sich Kami Garcia dann aber doch: sie zelebriert die Lust und das Interesse der Menschen am Bösen. Dass davon eine Faszination ausgeht, die mir noch keiner so richtig erklären konnte, ist wohl unbestreitbar, denke ich. Allein die vielen True-Crime-Podcasts und deren scheinbar stetig wachsendes Publikum sprechen eine deutliche Sprache. Wenn man nun also diese Sensationsgeilheit auf Grausamkeiten bedient – warum dann nicht so konsequent sein und den Joker wahllos morden lassen? Seine Opfer in diesem Buch haben fast durchgängig auch irgendwie Dreck am Stecken und somit wird ein abgrundtief böser Mensch zu einem gewissen Teil zu einem finsteren Rächer hochgejazzt. Zudem hätte es den Background aus den Jugendjahren des Jokers (Mutter stirbt beim Autounfall, Joker überlebt, saufender und prügelnder Adoptivvater und Kleinganove in Personalunion drischt auf den Jungen ein, wo und wie er nur kann) nicht zwingend gebraucht. Das wirkt ein wenig so, als hätte die Autorin auf den allerletzten Metern dann doch irgendwie der Mut verlassen, den Joker nur als absolut bösartig darzustellen. Dieses „aus dem armen Jungen konnte ja nichts anderes werden als ein grausamer Schlächter“ findet sich zwar auch in Biografien real existierender Massenmörder, hätte hier aber nicht zwingend sein müssen, da es keinen Mehrwert schafft.

Das aber ist nur eine Randnotiz, die jede*r Leser*in gewiss ganz individuell bewerten mag. Festhalten möchte ich abschließend mehrere Dinge: „Joker/Harley: Psychogramm des Grauens“ ist großartig geschrieben und sieht fantastisch aus. Es ist eine Hardcore-Story mit allerhand expliziter Grausamkeit, die nicht in die Hände von Kindern gehört und auch nicht unbedingt von jenen mit einem zarten Gemüt konsumiert werden sollte. Und gleichwohl ist es ein erfrischender und sehr wohltuend abwechslungsreicher Blick auf zwei besondere Figuren in DCs Kriminellenkabinett. Eine so krasse, intensive und spannende Geschichte rund um den Joker und Harley Quinn wird man möglicherweise kein zweites Mal erleben. Wir dürfen jetzt auf „Joker: Folie à Deux“ gespannt sein, der ebenfalls eine Geschichte erzählen wird, die nichts mit dem üblichen Kanon zu tun hat. Die Messlatte für ein Aufeinandertreffen beider Figuren wurde jedoch hiermit schon vor gut fünf Jahren irre hoch angelegt.


Erscheinungsdatum
17. September 2024
Verlag
Panini
Autor*in
Kami Garcia
Zeichner*in
Mico Suayan, Mike Mayhew
Seiten
312
Storys
Joker/Harley: Criminal Sanity 1–8, The Joker Casefiles & Notebook 1, Harley Quinn 30th Anniversary Special 1 (V)
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