So genau weiß ich gar nicht, woran mich der Bandname Umme Block denken lässt. Das Assoziationskarussell dreht sich um den Berliner Dialekt und, da wir es ja hier mit Musik zu tun haben, um eine Spaßkapelle wie Icke & Er. Und wie dieses Karussell so vor sich hin rotiert, entfernt es sich immer weiter von dem, was sich tatsächlich hinter Umme Block sowie deren inzwischen zweites Album „State Of Limbo“ verbirgt. Im Leben hätte ich nicht vermutet, was tatsächlich Sache ist. Oder, um es in klassischer Clickbait-Manier zu formulieren: Mit allem hatte er gerechnet, doch was er dann zu hören bekam, hat ihn wirklich sehr erstaunt! So. Bereit für das erste große Highlight dieses Jahres? Na dann los.
Umme Block haben mit Berlin bzw. dem Dialekt und auch mit Spaßkapellen so gar nichts am Hut. Viel mehr verbergen sich hinter Umme Block die beiden Münchnerinnen Leoni Klinger und Klara Rebers. Sie gründeten Umme Block im Jahr 2018 und servieren feinste, von viel Elektronik durchzogene Musik, die man als Synth-Pop, Synth-Wave oder generell Electronica umschreiben könnte. Beim Hören des Albums kommen mir direkt neuerliche Assoziationen in den Sinn. Dieses Mal denke ich an Ladytron, an Cosby, an xPropaganda und ähnlich gelagerte Bands, Projekte und Künstler*innen, bei denen weiblicher Gesang sich an analog-elektronische Sounds schmiegt, dabei aber um den Einsatz echter Instrumente wie Gitarren nicht zurückschreckt. Aber auch Synthesizer-Klangtüftler wie Jean-Michel Jarre oder Vangelis rufen sich durch den Sound dieses Albums ein wenig ins Bewusstsein zurück.
Über den in der Tat etwas eigenwilligen Bandnamen wird überliefert, dass es damals, als die Damen Klinger und Rebers noch im schulpflichtigen Alter gewesen sind, sich nach einem langen Schultag und eher so semi-gemachten Hausaufgaben angerufen haben sollen. Inhalt des Telefonats war in etwa folgender: „Hey, lass mal noch ‘ne Runde um den Block“. In den Folgejahren, so erzählen es die Künstlerinnen, hätten sie so manche Runden gedreht, stets auf der Suche nach sich selbst. Einige Visionen und Träume hätten sich mittlerweile aber erfüllt, sagen sie. Sehr schön, zumal für uns Hörende die Vermutung naheliegt, dass ebendiese Träume und Visionen als nun vorliegendes, zweites Album Wirklichkeit geworden sind.
Umme Block benötigen ungefähr eine Minute, um mich mit ihrem musikalischen Tun direkt abzuholen. Ach, was red’ ich! Wäre ihr Album ein Auto, würden sie mit quietschenden Reifen neben mir anhalten, eine der hinteren Beifahrertüren aufreißen und mich, ahnungslos wie ich nun mal bin, direkt in die Karre ziehen! Eine knappe Minute benötigt das Eröffnungsstück „Spark“, um mit seiner zunächst sehr spärlichen, aber von soooo breiten Synthieflächen unterfütterten Instrumentierung und dem direkt einnehmenden Gesang eine Einladung auszusprechen, den Damen auf eine aufregende, spannende und mitreißende Reise zu folgen. Dass die Songs des Albums im Prinzip nahtlos ineinander übergehen, und sich nach dem letzten Song „Dust“ unterbrechungsfrei wieder von vorn beginnen lässt, macht es für Ersthörende wie mich unheimlich schwer, wieder aus dem Album aufzutauchen. Ich wollte mich eigentlich schon gestern oder vorgestern zum Album geäußert haben, einzig: Es ging nicht. Es war mir nicht möglich, mich aus dem Kopfkino, aus dem Gedankenrasen, aus dem immer wieder neuerlichen Abtauchen in Erinnerungen, Träume und Überlegungen zu befreien. Ich gebe zu – so richtig wollte ich das auch gar nicht. Zu wohl habe ich mich in der Gesellschaft dieses Albums gefühlt. Bisschen wie das randvoll gefüllte Schaumbad, aus dem man erst dann wieder aussteigt, wenn sich der Schaum komplett aufgelöst hat und die Haut an den Händen völlig verschrumpelt ist.
Üppige Klangteppiche, die das Gefühl vermitteln, sich darauf fallen lassen zu können
„Phoenix“ zum Beispiel startet langsam, beinahe zerbrechlich, steigert sich aber ziemlich schnell. Sowohl was das Tempo anbelangt, als auch im Hinblick auf die kompositorische Finesse und der verwendeten Tonerzeuger. Ein Volltreffer ist auch „Wet Surface“, das direkt schon zum Start mit flottem Beat um die Ecke kommt, zwischendrin an Tempo verliert und manchmal sogar ein bisschen Rave vergangener Tage denken lässt. Ohne den gleichen Bumms dahinter, versteht sich. Umme Block breiten ihre raffinierten, klanglichen Spielereien auf einem so üppigen Synthie-Teppich aus, der das Gefühl vermittelt, man könnte die Arme ausbreiten und sich rückwärts und mit geschlossenen Augen darauf fallen lassen. Herrlich!
„Shut Up“, einer der Songs dieses Albums, der sich mit zwischenmenschlichen Themen beschäftigt, wirkt mit seinen starken 80er-Jahre-Anleihen so wunderbar aus der Zeit gefallen, dass Fans jenes Jahrzehnts vergnügt mit der Zunge schnalzen dürften. Die hintergründige Gitarre, die sich wie zusätzliche Farbklekse auf der neonfarbigen Leinwand verteilt, tragen ein Übriges zu dem Vergnügen bei. Und, last but not least, Textzeilen wie „no, you can’t tell me what to do, shut up!“ haben so etwas großartig empowerndes. Vor allem für all jene, die in toxischen Beziehungsgeflechten stecken und/oder aufoktroyierten Erwartungen gerecht werden sollen. An intensiven Auseinandersetzungen mit der Welt und dem Leben mangelt es dem Album nicht, dieser Song ist eine der gelungensten.
Andere Themenbereiche, welche von dem Duo auf diesem Album hier beackert werden, sind der große Rundumschlag, der viele von uns derzeit umtreibt: Kriege, Klimakrise, Zukunftsängste. Welche Welt hinterlassen wir den Kindern? Hinterlassen wir überhaupt eine? Diese Themen finden sich in Songs wie „Future Kid“ oder „Humble“ wieder. Entsprechend spiegelt sich das auch in der Stimmung und musikalischen Ausgestaltung wider. In „Humble“ beispielsweise ist die nahezu allgegenwärtige Gitarre deutlich dringlicher, deutlich nervöser. Überhaupt verstehen sich Umme Block ganz meisterhaft darin, mit den von ihnen gewählten Instrumenten eine wahnsinnige Bandbreite an Stimmungen und Emotionen abzudecken – und heraufzubeschwören.
„Blue Hour“ ist, ähnlich wie das finale „Dust“, erstaunlich düster ausgefallen. Hörende werden nicht direkt mit einem Melancholie-Hammer erschlagen oder verfallen sofort in Depressionen, wenn sie diese Songs konsumieren; gleichwohl fällt deutlich auf, dass den Damen hier etwas auf der Seele brannte, was in musikalischer Form verarbeitet werden wollte.
Von den weiter oben schon erwähnten Ladytron oder Cosby bis Jean-Michel Jarre – die Bandbreite, mit denen sich Umme Block hier oder da vergleichen ließ, ist groß. Und während sie sich einerseits damit natürlich in bester Gesellschaft befinden, wenn sie im gleichen Atemzug wie die ganzen großen Held*innen genannt werden, ist es mir wichtig, Folgendes zu betonen: Auch wenn sich Vergleiche und Assoziationen sehr anbieten – das, was Klara Rebers und Leoni Klinger hier gezaubert haben, ist sooo viel mehr als nur das Werk von Musikerinnen, die im gleichen Teich fischen. Diesem musikalischen Süppchen, das sie hier servieren, haben sie so viel Ideenreichtum, so viel Würze und Pfeffer und vor allem so viel Herzblut beigemengt, dass einem akustischen Hochgenuss gleichkommt. Wäre „State of Limbo“ etwas, das vom Guide Michelin mit Sternen ausgezeichnet werden könnte, würde ich dieses Album am liebsten für einen Stern empfehlen wollen. Mindestens. Von den Inhalten, den Texten über den wunderbaren Gesang bis hin zur raffinierten Komposition, den spannenden Arrangements und nicht zuletzt der beeindruckenden Produktion passt einfach alles. Das Jahr ist noch jung, aber ich habe schon jetzt ein Lieblingsalbum des Jahres 2023 gefunden. Ich hoffe, dieses Kleinod findet viele Zuhörer*innen, es wäre verdient.
PS: Zum Zeitpunkt des Erscheinens dieses Artikels ist das Album nicht in den gängigen Streaming- oder Downloadportalen erhältlich, sondern nur (in physischer Form) unter https://www.munichwarehouse.com/collections/bands-amp-artists-umme-block. Digital wird das Album am 24. März 2023 nachgereicht.