Zum Begriff Leichtmatrose fällt einem dank der menscheigenen Assoziationsfähigkeit sicherlich allerhand ein – nur nicht notwendigerweise Musik. Die Münsteraner Newcomer-Band um Musiker (und nicht Seemann) Andreas Stitz absolvierten erst kürzlich auf dem M’era Luna ein geschmeidigen Live-Auftritt und sorgen mit dem Album „Gestrandet“ dafür, dass fortan in der Assoziationskette beim Begriff Leichtmatrose auch Gedanken an Musik aufkommen.
Die Geschichte von Leichtmatrose ist wohl ein klassisches Web 2.0 Märchen: Bereits 2005 begann Andreas Stitz mit den Arbeiten an ersten Songs unter dem Namen Leichtmatrose, die zwei Jahre später via MySpace der Öffentlichkeit vorgestellt wurden. Und wie es der Zufall wollte, stolperte ein gewisser Joachim Witt über die Leichtmatrosen-Präsenz bei MySpace, war spontan sehr angetan davon und setzte alle im zur Verfügung stehenden Hebel in Bewegung. Ende der Story: Leichtmatrose veröffentlichten am 1. Mai 2009 ihr Debütalbum bei Warner, was unter anderem Umständen vielleicht nie passiert wäre.
Aber das ist reine Spekulation. Fakt ist, dass das Album vorliegt und Fans von eingängiger, zeitgenössischer Pop-Musik Herrn Witt dankbar sein sollte, dass er sich so für die Debütanten starkgemacht hat. In ein geschmeidiges, elektronisches Gewand mit faszinierenden Arrangements verpacken die Leichtmatrosen Themen wie die Liebe, natürlich, aber auch brisante Themen wie Magersucht („Sexi ist tot“), Amoklauf („Junge von nebenan“), studentischen, von den 68ern inspirierten Weltverbesserungswahn („Studentenfutter“) oder latente Religionskritik („Himmelfahrt“) finden Einzug in die Songs der Leichtmatrosen.
Dabei geht man lyrisch manchmal mit der Holzhammermethode vor; fast so als müssten sich Textzeilen notwendigerweise immer reimen. Oder aber man spielt derart viel mit fast schon kindlich naivem Charme oder poesiealbumtauglicher Reimeskunst (Bsp.: Ich bin ein Astronaut / so einer der sich traut / Raketen für dich baut / um schnell bei dir zu sein), dass Zuhörende im Prinzip fast darauf warten können, dass der Pathos aus dem CD-Player tropft. Das Interessante dabei ist aber: trotzdem verfehlen die Texte ihre sicherlich gewünschte Wirkung nicht. Oder vielleicht auch gerade deshalb? Die Leichtmatrosen zeigen hier, dass man Zuhörer*innen auch zum Nachdenken bewegen kann, ohne gleich das Kantholz zwecks Hinterkopfmassasge auszupacken.
Inhaltlich passt das Debüt also schon mal. Gesanglich gibt es auch nix zu meckern, die Vocals des Chef-Emotionalisten Andreas Stitz erinnern gerne mal an französische Chansons – bis zu den Momenten, an denen er richtig singt. Hier erinnert er ein wenig an den großen Peter Heppner!
Das passt also auch. Und musikalisch? Nun, ich sagte ja bereits, dass die Leichtmatrosen schuckelige, elektronische Pop-Songs mit spannenden Arrangements auf der Haben-Seite verbuchen können. Auch wenn der Witt wohl auch hier die Finger mit im Spiel gehabt haben muss. Es macht einfach Spaß, den Songs zu lauschen und dabei zu „erhören“, wie sie sich über die jeweilige Spieldauer in puncto kreativer Ausgestaltung und Abwechslungsreichtum entfalten.
Um es vorwegzusagen: Ich bin begeistert! Leichtmatrose sind ganz ohne Zweifel eine der aufregendsten und spannendsten Neuzugänge im (inter-)nationalen Musikzirkus! Auch wenn man der vielen musikalischen Zitate wegen (wer mag, hört da von Peter Heppner bis hin zu Juliane Werding alles Mögliche heraus) dem Debüt „vorwerfen“ könnte, aufgrund ebendieser das Rad nicht zu erfinden, so ist es doch das Gesamtpaket, das begeistert. In meinen Augen dürfen sich Leichtmatrose jedenfalls guten Gewissens damit rühmen, eines der großartigsten deutschsprachigen, ernsthaften Pop-Alben in diesem Jahr präsentiert zu haben. Hoffentlich bleiben die Leichtmatrosen keine Eintagsfliege, es wäre sehr, sehr schade!