An Serien und Filmen, die auf Comics basieren, herrscht wahrlich kein Mangel. Manchmal frage ich mich, ob in der Welt der bunten Bilder überhaupt noch etwas übrig ist, dass nicht auch in ein anderes Medium übersetzt wurde. Das ist natürlich Quatsch mit Soße, weiß ich selbst, aber der gefühlte Eindruck kommt dem schon ziemlich nahe.
Ganz vorn mit dabei, wenn es um gelungene Serienadaption von Comics geht, ist Netflix. Die, wie ich finde, sehr gelungene Umsetzung von Neil Gaimans „Sandman“ (eigentlich als Comic manchmal so verquastes Zeug, das (nochmals eigentlich) nicht verfilmt werden kann) soll mir hier als Beispiel genügen. Ende letzten Jahres ging bei besagtem Streamingdienst die Serie „Bodies“ an den Start. Ihr ahnt es bereits: auch diese britische Mystery-Serie basiert auf einer grafischen Geschichte. Und um dieses von Si Spencer geschriebene Werk geht es mir nun im Folgenden.
Da kann man schon mal überrascht aus der Wäsche kucken: Ein und dieselbe Leiche taucht in vier verschiedenen Epochen auf den Straßen Londons auf. Das erste Mal im Jahr 1890, zu jener Zeit also, als ein gewisser Jack the Ripper die Straßen unsicher machte. Das nächste Mal 1940, während deutsche Fliegerbomben die Stadt teilweise in Schutt und Asche legten. Dann 2014, während ein wütender Mob Nationalisten durch die Gegend protestiert. Und dann noch einmal 2050, nachdem die von Menschenhand heraufbeschworene Apokalypse das Ende der Zivilisation eingeläutet hatte.
Männlich, weiß, nackt – und tot
Jedes Mal ist es ein nackter, männlicher Weißer, und jedes Mal mit den gleichen Wunden. So fehlt dieser Person, von der niemand weiß, wer sie ist, wie sie dorthin gekommen war und vor allem, wer ihr das Leben nahm, in jeder Epoche unter anderem ein Auge. Inspector Hillinghead (1860), Detective Sergeant Hasan (2014), Inspector Whiteman (1940) und Detective Maplewood (2050) stehen vor einem Rätsel. Denn was sie nicht wissen – nicht wissen können angesichts der unterschiedlichen Zeiten, in denen sie leben – ist, dass diese Leichen in Verbindung miteinander stehen.
Und kann es denn vielleicht sein, dass dieser tote Mann sich nicht nur selbst so verstümmelt und umgebracht hat, sondern vielleicht gar nicht so tot ist, wie es zunächst den Anschein hat …?
Puh. Puh! „Bodies“ ist ganz schön starker Tobak. Zunächst mal ist es ein über weite Strecken sehr spannender Zeitreise-Thriller, bei dem alle vier Zeitebenen, jeweils von unterschiedlichen Kunstschaffenden umgesetzt, parallel erzählt werden. Auf einer Seite befinden wir uns noch im viktorianischen London, auf der nächsten Seite in der dystopischen Zukunft. Kudos an den Autoren Si Spencer (2021 wegen eines Herzfehlers leider viel zu früh verstorben, die Umsetzung als Serie hat er demnach nicht mehr miterleben dürfen), dass er es geschafft hat, seine vielschichtige Story so zu erzählen, dass man trotz der permanenten Sprünge nicht den Überblick verliert.
Sex, Gewalt und immer diese eine Leiche
Und Spencer wollte sehr viel mit dieser ursprünglich auf acht Hefte ausgelegten Miniserie. So ist es etwa eine Art Sittengemälde des viktorianischen Englands, in dem Homosexualität unter ein ganzes Sammelsurium von Strafen gestellt wurde. Inspector Hillinghead, eigentlich dem männlichen Geschlecht zugetan, versucht seine Natur zwar zu verbergen, indem er mit seinen Kumpels aus der Geheimloge regelmäßig zum Beischlaf in ein entsprechendes Etablissement geht. Aber dennoch wissen eigentlich alle um ihn herum um seine Liebe für Männer.
Dann wiederum verwebt Spencer Elemente jüdischen Glaubens (speziell: der Dibbuk, ein böser Totengeist) in den provokanten Hintergrund der Figur Whiteman, der eigentlich Weißmann heißt, Polizeibeamter und Krimineller in Personalunion ist und sich irgendwann mit einem gefangenen Nazi-Piloten eine Kippe und eine Gefängniszelle teilen wird. Spencer beleuchtet das Leben der engagierten Polizistin Hasan, die als Muslima wie gefangen wirkt zwischen Tradition und Moderne und sich darüber hinaus mit (mindestens) übergriffigen Verhalten ihres Kollegen konfrontiert sieht.
Wie gesagt, das sind ganz schön viele Fässer, die Si Spencer hier aufmacht. In seinen besten Momenten erinnert mich „Bodies“ an Meisterwerke wie Alan Moores „From Hell“, das zu einer sehr ähnlichen Zeit spielt wie die, zu der Hillinghead Antworten zu finden versucht. Und immerzu ist da diese Leiche.
Leider gelingt es Spencer meines Erachtens nicht, all die Dinge zu einem wirklich befriedigenden Ende zusammenzuführen. Wenn für die vier Charaktere der letzte Vorhang fällt, kann es passieren, dass man als Lesende*r mit der Frage „und nu?“ zurückbleibt. Ein wenig kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass Spencer nicht mehr wusste, wie die eigentlich ziemlich raffinierte Ausgangslage (dieselbe Leiche in vier Epochen) schlussendlich aufdröseln sollte.
Vielleicht hätte der Mann damals auch mehr als die acht Hefte gebraucht, um komplett zu erzählen, was er im Sinn hatte. Darüber kann man heute nur noch spekulieren. Das Ende ist also ein wenig fad. Tut dem insgesamt aber sehr guten Eindruck, den dieser Comic hinterlässt, keinen allzu großen Abbruch. Der Weg bis zum Finale ist nämlich durchweg spannend und unterhaltsam. Die vier gleichzeitig stattfindenden Zeitebenen optisch unterschiedlich gestalten zu lassen, ist dabei ein weiterer, sehr willkommener Kunstgriff. Nicht immer sind die Zeichnungen notwendigerweise als schön zu bezeichnen, dennoch stets sehr stimmungsvoll.
Alles in allem reicht es locker für eine Empfehlung für „Bodies“. Und zwar für all jene, welche vielleicht die Serie kennen und sich für das zugrundeliegende Original interessieren. Für alle, die sich für einen weitgehend gut geschriebenen und spannenden Krimi im Comic-Format begeistern können, dessen komplettes Geheimnis sich nicht nach dem Lesen der letzten Seite völlig offenbart. Und natürlich für diejenigen unter Euch, die mal Abwechslung im Superhelden-Zirkus gebrauchen können.
Der Hinweis, dass sich dieser Comic nur an ein erwachsenes Publikum richtet, ist übrigens durchaus ernstzunehmen. An Sex und Gewalt mangelt es nicht. Und ich frage mich noch immer, was mir das Cover sagen möchte bzw. in welchem Zusammenhang es wohl mit dem Inhalt stehen mag. Jemand eine Idee?