Dass die vom irischen Comicautor Garth Ennis erschaffene und geschriebene Serie „The Boys“ in regelmäßigen Abständen eine Grenzüberschreitung und -verschiebung war und ist, dazu habe ich mich hier schon verschiedentlich geäußert. Zuletzt in der Review der ersten Ausgabe der Pocket Edition, die Panini derzeit veröffentlicht. Ginge man nun aber hin und erklärte, die bitterböse und rabenschwarze Satire auf Menschen mit Superkräften, die ihre Unterhosen über der Strumpfhose tragen, wäre nur ein Ausleben abgründiger Gewalt- und Sexfantasien des Autors, so stolperte man genau über das Stöckchen, das Ennis seinerzeit hingehalten hatte. Möglicherweise mit einer gewissen Portion diebischer Freude. Mein Thema heute ist der zweite Band der Pocket Edition, den Panini mit „Es wird blutig“ untertitelte.
Die in diesem Band versammelten US-Hefte 15 – 30 beschäftigen sich zu einem großen Teil mit jeder Menge Hintergrundwissen. World Building, sozusagen. Ein großer Handlungsbogen erklärt uns nämlich, wie Vault American, die Firma hinter jenem Serum, das aus Menschen Superwesen – oder eben: Supes – macht, wirklich an einen Typen wie Homelander geraten ist. Die klassische Superman-Story, also quasi vom Himmel gefallen und aufgrund der neuen Umgebung mit Superkräften ausgestattet, war es jedenfalls nicht. Eher wissenschaftliche Experimente eines jüdischen Wissenschaftlers, der im Krieg vor den Nazis geflohen ist und dann, als er erkannte, was seine vermeintlichen Retter im Sinn hatten, den Freitod wählte, um die Formel nicht noch weiter zu verbessern. Wer hier übrigens leichte Parallelen zu Captain America findet, darf gerne den Finger heben.
Nun hat Vault American, zuvor auch in der Rüstungsindustrie tätig, ziemlich schnell erkannt, welches unfassbare Waffenpotenzial in ihren Schöpfungen steckt. Nach dem Motto „viel hilft viel“ wurde der Wirkstoff V seinerzeit sehr vielen Menschen verabreicht, mit ganz unterschiedlichen Erfolgen. Dass sich die Welt noch dreht, ist eigentlich nur noch einer Art Patt-Situation zu verdanken.
Weiterhin spitzt sich im Verlaufe dieser versammelten Hefte der Konflikt zwischen Homelander und Butcher zu und die einstige Waffenruhe wird aufgekündigt. Dass daraus nichts Gutes erwachsen kann, dürfte auf der Hand liegen, denke ich. Und der arme Hughie versucht nicht nur eine Beziehung mit Starlight zu führen, scheinbar die einzige Supe, die moralisch nicht verkommen ist. Beide sind für jeweils für ihre Gegenseite tätig, beide versuchen das Geheimnis zu bewahren, dass es so ist und man kann darüber spekulieren, ob eine Beziehung auf einem soliden Fundament steht, wenn dieses Lügen beinhaltet.
Darüber hinaus wird Hughie undercover als Bagpipe in die G-Men eingeschleust, einer zumindest bis zu diesem Moment höchst profitablen Superheldentruppe. Profitabel – und völlig verkommen. Und sie ist Vault Americans Opposition ein Dorn im Auge. Wie überhaupt ganz Vault American zum Problem geworden ist. Und, richtig, ein Exempel soll statuiert werden. Mit unseren Boys mittendrin …
Die Darstellung expliziter und somit grausamer Gewalt wurde hier geringfügig zurückgefahren, dafür aber die Darstellung von Sex-Praktiken, die weit über Vanilla hinausgehen und den Stempel „Fetisch“ verdienen, massiv erhöht. Gerade Hughies Besuch bei den G-Men lässt ihn in eine Welt eintreten, die mir den Begriff „spätrömische Dekadenz“ durch den Kopf gehen lässt und an der Calligula seine Freude gehabt hätte.
Und doch ist auch dieser Band wieder viel mehr als nur eine Ansammlung von Schockeffekten. Es ist eine bitterböse Aufarbeitung der Anschläge des 11. September 2001, die erstmals wirklich zeigt, wie verdorben Homelander ist. Die gesamte Szene ist nur schwer zu ertragen. Es ist aber auch ein sehr geschicktes Spiel mit Meta-Ebenen. Wenn nämlich die Legende erklärt, dass die Schweinereien, die Vault American mit seinen Supes in der Welt verzapft, mittels Comics, die teilweise eine riesige Auflage haben, wieder ins richtige Licht gerückt werden, ist das schon ein ziemlich großer Moment. Zudem gibt es wieder zahlreiche pointierte und wirklich gut geschriebene Dialoge.
Wie gesagt, es wäre wirklich leicht, „The Boys“ als eine grausame und groteske Mischung aus Sex und Gewalt anzuprangern. Man würde damit noch ein anderes Wort ausklammern: genial. Denn auch das trifft auf diese beißende, nahezu ätzende Satire zu. Und Satire muss auch mal wehtun. Liebe Erziehungsberechtigte von Kindern mit Interesse an Comics: Ich empfehle sehr dringend, den Hinweis „Leseempfehlung ab 18 Jahren“ ernstzunehmen.