📸: always centered at night

Ein Album, das die Nacht umarmt: Mobys „always centered at night“ ist großes Kino für den Kopf

Meh. Das ist die Stimmung des heutigen Tages in einem Wort ausgedrückt. Schon wieder so eine Nacht, bei der ich im Nachgang eigentlich lieber wach geblieben wäre. Fiese Albträume haben mich gegen 3 Uhr morgens geweckt. Und danach war es das dann mit Schlaf. Zum Glück sind die Erinnerungen den Traum schnell verblasst. Immerhin. Außerdem startet heute die Fußball-EM. Ein Ereignis, zu dem ich schon im Vorfeld kritisch eingestellt war, um es mal vorsichtig auszudrücken. Der Theologe, Musiker und Journalist Stephan Anpalagan brachte es vor zwei Tagen meines Erachtens sehr treffend auf den Punkt:

Wenn die deutsche Fußballnationalmannschaft die EM gewinnt, dann ist dies ein Zeichen deutscher Tugenden, von Fleiß und Willensstärke. Wenn die deutsche Fußballnationalmannschaft die EM verliert, dann sind die Migranten, die Schwarzen und das pinke Trikot Schuld daran.

Treffer und versenkt. Man hätte in der Aufzählung noch das Gendern und die Grünen anführen können, um die Stimmung in weiten Teilen der Bevölkerung zu umschreiben. Aber politisch wollte ich eigentlich gar nicht werden. Genauso wenig meine Albträume ausbreiten. Ich suchte eigentlich nur nach einer Einleitung, um Euch vom neuen Album von Moby, „always centered at night“ zu erzählen. Mit „neues Jahr, neues Album von Moby“ zu beginnen, das erschien mir zu wenig. Aber so ist das manchmal: wenn die Finger erst einmal über die Tastatur tanzen, entwickeln sie ein Eigenleben und ich kann eigentlich nur noch zugucken, was dort aufem Bildschirm erscheint.

Ich möchte die Beschreibung, die Apple Music dem Album hat angedeihen lassen, aufgreifen: „Der US-Produzent stellt mit einigen Featurings die Nacht in den Mittelpunkt.“ Tendenziell könnte damit schon alles gesagt sein. Aber Ihr kennt mich. Mit so wenigen Worten kommen wir hier nicht raus aus der Nummer.

Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von YouTube. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.

Mehr Informationen

Wie sehen Eure Assoziationen an die Nacht aus? Was verbindet Ihr damit? Ist das lediglich die Zeit zwischen zwei Tagen, die dem (Bei-)Schlafe dient, je nach Sachlage? Sind das die Stunden, die gefüllt sind mit Träumen, mögen diese gut sein oder schlecht? Eine ganze Weile lang hielt ich die Nacht für eine Freundin. Bevor das Leben andere Pläne für mich hatte und ich von der Nachteule zum Frühaufsteher mutierte – mutieren musste! – entstanden die meisten der Artikel dieses Blogs in den späten Abend- und Nachtstunden. Noch heute mache ich meine Musikspaziergänge und laufe, mit einer Promo, die Gegenstand einer Review werden soll, durch die Magdeburger Nacht.

Ich würde darauf wetten wollen: Die Nacht ist in Teilen auch Synonym für aufregende Erlebnisse, von, was weiß denn ich, Partys, die niemals enden sollten. Von angeregten und anregenden Gesprächen, vielleicht bei rund um ein Lagerfeuer versammelt, während die Sterne am Nachthimmel um die Wette funkeln. Oder von Spaziergängen am Strand, während der Vollmond am Himmel steht und den Weg leuchtet, während Wellen immer wieder ein bisschen Gischt um die nackten Füße spült. Es gibt unzählige Erlebnisse, Ereignisse und Gefühle und Stimmungen, die man mit der Nacht assoziieren kann.

Und damit komme ich endlich zu „always centered at night“. Denn was auch immer für Gedanken und Gefühle habt, die Ihr mit der Nacht verbindet – ziemlich sicher kommen auf diesem Album so einige davon zum Vorschein. Ob das gut oder schlecht ist, das müsst Ihr selbst entscheiden.

Hello darkness, my old friend

Moby folgt hier in großen Teilen dem Ansatz seiner letzten beiden Alben „Reprise“ (2021) und „Resound NYC“. Will sagen: Er mag hier die Musik geliefert haben, die in nicht ganz unwesentlichen Teilen wieder sehr organisch aus den Boxen tönt, Gesang steuert er aber nicht bei. Stattdessen vertraut Moby hier durchweg auf jede Menge neuer, spannender und buchstäblich unerhörter Stimmen, die so vielseitig und abwechslungsreich sind, wie sie auch unterschiedlichste Stimmungen zu erzeugen bzw. zu transportieren vermögen.

Manchmal kommt doch noch zum Vorschein, dass, ehe sich Moby dranmachte, seine alten Gassenhauer in orchestrale oder akustische Kleidchen zu stecken, sich sein Musikerherz sehr wohl für Electronica erwärmen konnte. Ein leichter Anflug von Drum & Bass ist manchmal zu hören, gelegentlich wird es House-ig, einstweilen fast schon technoid. Der Clou an der Sache: Die Musik drängt sich nicht in den Fokus. Auch wenn manchmal perkussive Instrumente nervös zischeln – als Kontrast erklingt eine warme, eine wunderschöne Stimme und bringt das betreffene Lied wieder auf ein entspanntes Level. So, dass die Mucke – im besten, denkbaren Sinne – eine Night Bar als Hintergrundmusik beschallen könnte. Eine Bar, in der sich Menschen angeregt unterhalten, manche Blicke treffen, ineinander verfangen und gleichzeitig alles und nichts versprechen. Bei Apple Music gibt es eine regelmäßig aktualisierte Playlist, die heißt „Pure Focus“. Darin enthalten: unaufgeregte Musik aller Genres, meist aber elektronische Musik, die nicht stört, aber die Konzentration durchaus fördern kann. „always centered at night“ würde da gut hineinpassen. Komplett.

Moby verlässt sich bei der Auswahl seiner Gastsänger*innen aber nicht auf berühmte Namen, so wie es bei den letzten beiden Alben noch der Fall war. Gregory Porter dürft Ihr hier also nicht erwarten. Moby erklärt es in einem Blogbeitrag wie folgt: „In den letzten 30 Jahren habe ich mit erstaunlichen Sängern zusammengearbeitet – von David Bowie bis Freddie Mercury, von Gregory Porter bis Jill Scott. ‘Always Centered At Night‘ setzt meine Liebe zur Zusammenarbeit fort, konzentriert sich aber auf die Arbeit mit fantastischen Sängern, die vielleicht nicht so bekannt sind wie David Bowie und Gregory Porter.

Ein paar Beispiele: „on air“, bei dem die Vocals von serpentwithfeet kommen, hat eine ähnliche Stimmung, wie „Why Does My Heart Feel So Bad“, ist natürlich ruhiger, aber die Stimme. Die Stimme! Apropos Stimme: Ist da irgendjemand, der sich bei „dark days“, das zusammen mit Lady Blackbird entstand, nicht ein bisschen an Tina Tuner erinnert fühlt? Was für eine Wahnsinnsstimme! Oder dieses fast schon außerweltliche „precious mind“, zusammen mit India Carney eingespielt. Ich möchte unter dem Sternenhimmel liegen, Sternschnuppen beim Fallen zusehen und über das Leben nachdenken und wohin das alles hier wohl noch führen mag.

Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von YouTube. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.

Mehr Informationen

13 Songs umfasst „always centered at night“. Und nicht einer davon animiert auch nur ansatzweise zum Skippen. Viel mehr ist jede Nummer wie ein kleines Spotlight, wie eine Momentaufnahme aus dem nächtlichen Treiben. Erinnerungen werden wach daran, in der flirrenden Hitze einer Berliner Sommernacht irgendwo in einem der zahllosen Kieze der Hauptstadt draußen auf dem Bürgersteigt vor einer Kneipe zu sitzen, es gibt Zigaretten und Bier, die Nacht ist jung, das Leben auch, die Möglichkeiten scheinbar unendlich und die Stimmung so, als bräuchte man nur mit dem Finger schnippen, um die Welt zu bewegen.

Andere Lieder hingegen erinnern ans Herumsitzen an den Hamburger Landungsbrücken. Die Beine angewinkelt, die Arme drumherum verschlungen, den Kopf auf den Knien. Von unstillbarem Fernweh geplagt, beobachtet man Schiff und Schiff, das sich über die Elbe zunächst aus Hamburg hinaus und dann in die Freiheit verabschiedet. Ganz langsam verblassen die Positionslichter in der Dunkelheit. Wieder andere Songs vertonen das Gedankenkarussell, das seinen Betrieb erst dann aufnimmt, wenn man seinen Körper zur Ruhe gebettet hat.

In meinem Text zu „Resound NYC“ schrieb ich im vergangenen Jahr: „Nachdem wir nun zwei Alben dieser Art auf der Haben-Seite verbuchen konnten, würde ich mir als Nächstes aber wieder ein reguläres Moby-Album wünschen. Kein Ambient-Getüdel, keinen alten Wein in neuen Schläuchen.“ Nun, dieser Wunsch ist ganz offensichtlich in Erfüllung gegangen. Moby hat geliefert, auf ganzer Linie geliefert. Ich bin sicher, dass, sollte ich mir zum Ende des Jahres Gedanken machen über meine Lieblingsalben 2024, „always centered at night“ mir dann wieder in den Sinn kommen wird. Vielleicht bin ich schon wieder ein bisschen verliebt. In Musik allgemein, besonders aber in dieses Album.


Erscheinungsdatum
14. Juni 2024
Band / Künstler*in
Moby
Album
always centered at night
Genre
Pop, Electro
Label
always centered at night
Werbung (Affiliate Link)