So. Weiter im Text. Erst in meinem gestrigen Artikel bezüglich meiner Sorgen um den Zustand der Welt und in welche Richtung sich das alles gerade entwickelt, hatte ich schon angedeutet, dass die nächste Comic-Review sich mit Captain America befassen würde. Lange, laaange hielt ich die wahrscheinlich patriotischste und amerikanischste aller Comicfiguren für eine ziemlich öde Erfindung.
Das hat sich durch die Filme des Marvel Cinematic Universe ziemlich grundlegend gewandelt, mittlerweile wohnt so ein Captain im Maßstab 1:6 in meiner Ein-Mann-WG und mehr denn je denke ich, die Welt und besonders die Amerikaner könnten einen echten Captain America gerade gut gebrauchen. Ende Mai veröffentlichte Panini Comics „Captain America – Der Anschlag“. Ein ziemlich großer Wurf von erschreckender Aktualität.
Wenn Superstar-Autor J. Michael Straczynski den Griffel schwingt, dann kann man davon ausgehen, dass es gut werden wird. Oder anders: Bei Werken von Straczynski ist es wie mit Büchern aus dem Diogenes Verlag: die kannste einfach immer blind kaufen, völlig bums, um was es geht oder wer sie geschrieben hat. Diogenes liefert immer und so tut Straczynski. Der Mann ist der Schöpfer der unter Sci-Fi-Fans sehr geschätzten Fernsehserie „Babylon 5“.
Für Marvel war Straczynski schon tätig, um Thor und Spider-Man zu ganz neuem Glanz zu verhelfen. Und irgendwann früher schuf er für Image Comics die Comicserien „Midnight Nation“ und „Rising Stars“. Gerade letztere dürfte für Fans von „The Boys“ auch heute noch interessant sein. Wenn auch aus anderen Gründen zu Superkräften gekommen, ging es auch damals schon um eine Gruppe von Menschen mit besonderen Fähigkeiten, die diese nicht immer zum Wohle der Allgemeinheit eingesetzt haben.
Zurück zu Captain America. Wie aus dem Lauch Steve Rogers in den Wirren des Zweiten Weltkriegs dank eines Supersoldatenserums Captain America wurde, ist hinlänglich bekannt und etliche Male erzählt worden. Was aber noch niemand so richtig beleuchtet hat, ist die Frage: Warum war Rogers, der offensichtlich körperlich überhaupt nicht in der Lage war, der US Army eine Hilfe oder von Nutzen zu sein, so von dem Willen beseelt, im Krieg Dienst zu tun und die Nazis zurück in die Löcher prügeln zu wollen, aus denen sie gekrochen waren? Diesen frühen Jahren, bevor der Cap zu Cap wurde, spürt J. Michael Straczynski hier nach. Auf unfassbar gute wie erschreckende Weise.
Steve Rogers, der Erwachsene, der Captain, kauft das Haus, in dem seine Eltern dereinst wohnten und betreibt seine besondere Form des sozialen Wohnungsbaus. Und bei den Renovierungsarbeiten an dieser mehr als baufälligen, eigentlich schon dem Abriss zugedachten Bruchbude, kommen ihm immer wieder Erinnerungen an seine Jahre als Jugendlicher in den Sinn. Klein-Steve, der Zeitungen austrägt und auf dem Bau jobt und sich das Geld vom Munde abspart, um die 30 Dollar für ein Zimmer mieten zu können. Buchstäblich eine Abstellkammer.
Und da wir uns in den frühen 30ern befinden, eine Nazi-Partei hatte in Deutschland schon die Macht an sich gerissen, macht Steve ziemlich schnell Bekanntschaft mit dem American Bund. Ebenfalls eine Gruppierung von Nazis, deren Ziel es ist, die Amerikaner auf die eigene Seite zu ziehen. Mittel zum Zweck: Ein massiver Anschlag, den man den Juden, den Ausländern, den üblichen Feindbildern, die dieses Gesocks so hat, in die Schuhe schieben kann. So wie beim Reichstagsbrand eben. Die Handlung des Comics spielt parallel in der Vergangenheit und in der Gegenwart – und ratzfatz muss Mr. Rogers erkennen, dass bei alledem wahrhaft höllische Kräfte am Werk sind …
Nazis, Dämonen und eine präzise Beobachtung der aktuellen Situation
Junge! Was für ein krasses Ding! Mir lief es fortwährend eiskalt den Rücken runter. Nicht mal so sehr wegen der pfiffig konstruierten, übernatürlichen Elemente, die Straczynski hier geschickt und sinnig eingeflochten hat. Bisschen wie eine der besseren Folgen von „Supernatural“, wenn Ihr mich fragt, nur eben mit dem Captain anstelle der Winchester-Brüder.
Sondern viel mehr wegen der präzisen Beobachtung und Schilderung, wie Nazis ticken. Mit welcher Feigheit und welch brutalen Mitteln sie vorgehen. Und dass schon wenige ausreichen, um vielen das Leben zur Hölle zu machen – oder es direkt zu beenden. Das ist manchmal schwer zu ertragen. Angesichts der aktuellen Lage in der Welt allgemein und in den USA noch schwerer. Ein ums andere Mal wünschte ich mir, Captain America würde aus den Panels geklettert kommen und den ganzen Rechten mal zeigen, was eine Rechte ist.
Nun ja. Inhaltlich jedenfalls ist diese Betrachtung der frühen Jahre im Leben von Steve Rogers über jeglichen Zweifel erhaben. Den Zeichnungen hingegen stehe ich irgendwie ambivalent gegenüber. Und das Schlimme daran ist, dass ich gar nicht mal genau sagen kann, warum das so ist.
Die Strichführung von Jesus Saiz bzw. Lan Medina ist jeweils detailliert, dynamisch und durchaus sehenswert. Ich glaube, es ist diese merkwürdig plastische Farbgebung, die mich irgendwie immer wieder aus der Immersion herauskickt. Sie erinnert mich an die frühen 2000er-Jahre, als mit Computertechnik kolorierte Comics immer wieder mal aussahen, wie ganz schlimme CGI-Unfälle im Kino. Versteht mich nicht falsch, die Farbgebung hier ist kein Unfall. Aber die Assoziation leider in meinem Kopp und ich kriege sie auch nicht raus.
Unterm Strich bleibt es aber bei zwei erhobenen Daumen für diesen Auftakt. „Captain America – Der Anschlag“ gehört schon jetzt zu den besten Comics, die ich in diesem Jahr gelesen haben werde. Gar nicht schlecht für eine Figur, die ich irgendwann mal ziemlich öde fand, oder? Der nächste Band ist für November angekündigt. Fällt also in den Zeitraum mit den US-Wahlen am 5. November. Und ich habe die schlimme Befürchtung, dass wir dann einen Captain America noch mehr benötigen werden, als so schon. Und sei es, um für eine Stunde aus der Wirklichkeit zu fliehen.