Grundsätzlich ist es immer ein wenig wie Weihnachten, wenn neue Comics bei mir eintrudeln. Oder wie bei Wundertüten. Ich weiß wohl beim Betrachten der Cover, welche Figur die zentrale Rolle spielen wird. Aber ich habe dennoch nie eine Ahnung, was mich erwartet. Denn erfreulicherweise halten sich die Beschreibungen von Panini Comics in den jeweiligen Verlagsvorschauen vornehm zurück damit, allzu viel über das zu verraten, was in den bunten Panels passieren wird. Aber eine Sache ist inzwischen schon so sicher wie das Amen in der Kirche: Wenn der Name Tom King als Autor aufgeführt wird, kannst Du den Comic bedenkenlos in den Warenkorb legen.
Und zwar selbst auch dann, wenn Dich die Figur, der er sich widmet, eigentlich nicht sooo Deine Baustelle ist. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wirst Du Stoff geboten bekommen, der mit „hochkarätig“ nicht so richtig adäquat umschrieben ist. So verhält es sich auch mit dem Auftakt der neuen „Wonder Woman”-Reihe. Tom Kings nächster Beitrag im Rahmen von DCs Morgendämmerung „Dawn of DC“. Und theoretisch könnten wir hier schon abkürzen: „Wonder Woman 1: Die Rebellin“ ist erneut ein Volltreffer geworden. Das Warum können wir gleich mal klären.
Es könnte alles so schön sein. Das Land der Amazonen führt eine friedliche Koexistenz mit der (vermeintlich) mächtigsten Nation der Welt. Könnte. Wären da nicht ein paar Menners, die eine Frau, die sich beim Billard spielen über den Billardtisch beugt, als Einladung verstünden, eben dieser Frau an die Wäsche gehen zu wollen. Dumm gelaufen für die Menners, denn besagte Frau ist eine Amazone und erleichtert die Menners umgehend vom Leben. Dieses Blutbad kocht in den Medien hoch, und da ausschließlich Männer zu den Toten gehören, ist den Medien und der Politik klar: Die Schuldigen können nur Amazonen sein, die einen Großangriff auf den American Way of Life planen! Was keiner weiß: Die ganze Chose spielt sinistren Kräften in die Hände, die noch über dem Präsidenten der USA seit Jahrhunderten die Geschicke steuern.
Es kommt, wie es kommen muss: gewaltsame Deportation der Amazonen, ganz gleich, wie gut integriert oder unauffällig sie ihr Leben führen. Parallelen zu aktuellen Entwicklungen in der Welt sind sicher nicht zufällig. Auch unser allseits bekanntes Wunderweib Diana steht natürlich auf der Abschussliste des Mannes fürs Grobe, Sarge Steel. Dass dieser Archetyp eines gewaltbereiten Befehlsempfängers kein allzu großes Interesse daran hat, Diana friedlich zu irgendwas zu bewegen, kann, denke ich, hier ohne die Gefahr eines Spoilers verraten werden. Dass „Nein, danke“-Diana ebenfalls auf ihrer Position beharrt – nämlich die ganze Situation aufzuklären und das friedlich – dürfte ebenfalls klar sein. Und so kommt es zu einigen sehr denkwürdigen Begegnungen und Ereignissen, die nicht nur Diana staunend und überrascht zurücklassen …
Keine Ahnung, wie Tom King das macht. Also einfach scheinbar immer und jedes Mal auf absolutem Top-Level abzuliefern! Sein Auftakt von „Wonder Woman“ reiht sich ein in seine Riege absolut hochwertigster, super spannender und mega gut geschriebener Comicunterhaltung! Ich weiß gar nicht, was mich an diesem „Wonder Woman“-Neustart mehr begeistert hat. Die Parabel auf Geschlechts- und Kulturkämpfe, die in der echten Welt ständig zu beobachten sind? Also Patriarchat gegen Frauen, die sich dagegen wehren? Oder „die sind hergekommen und wollen unsere Lebensweise, unsere Kultur zerstören“? Und dass das alles hanebüchener Blödsinn ist, der von ein paar wenigen, mächtigen (alten, weißen) Männern gesteuert und befeuert wird, weil die sich ihren Status quo bewahren möchten?
Oder war es vielleicht dieser kurze, hochgradig emotionale Moment, mittendrin? Amazonen allgemein und Diana ganz besonders waren zu dem Zeitpunkt in der Story in der öffentlichen Meinung dank des medialen Dauerfeuers schon längst in Ungnade gefallen, dennoch nahm sie sich die Zeit, einem todkranken Kind einen besonderen Tag zu ermöglichen. So unter anderem das Mitfliegen in Dianas unsichtbarem Jet. Diese Szene hat mich wirklich sehr bewegt und berührt. Es gibt wirklich vieles, für das man Tom King in diesem wie üblich sehr textlastigen Comic loben könnte. Ich halte es einfach mit der Feststellung: Er kann es einfach.
Die richtig schicken Zeichnungen von Daniel Sampere rücken das Geschehen ins richtige Licht. Sampere versteht es, der jeweiligen Situation genau das Tempo und die Dynamik angedeihen zu lassen, die angemessen ist. Ich würde behaupten wollen, dass sich die erste Ausgabe der neuen „Wonder Woman“-Reihe mit an der Spitze positioniert, was die schicksten Comics unter dem „Dawn of DC”-Banner angeht. Politik, Drama, Verschwörung, Action, große Gefühle – „Wonder Woman“ bietet einfach alles davon. Wer sich für gut geschriebene, spannende Comics begeistert, bei denen sich die Superheldinnen nicht nur gegenseitig die Unterlippe über den Kopp ziehen, kommt hier eigentlich nicht dran vorbei.